Allein gegen den Wind
Nonstop in 343 Tagen um die Welt
   Home | Kathena aktuell | Nonstop | Bücher | Segeltörns | Seemannschaft | Vita | Archiv | Impressum
Auf dem Meer und über dem Meer  |  von Kym Erdmann


Alle Meldungen zur Nonstop-Weltumseglung, 15.6.2000 bis 2.3.2003

Rückblick 20 Jahre
»Allein gegen den Wind

Wilfried auf Vortragsreise.
Wann und wo?


Das Buch

Die DVD

Download und Stream

Das Hörbuch

»Auf dem Meer und über dem Meer«, Treffen mit Wilfried vor Neuseeland

Interviews über Satellit

»Auf dem Kurs der kleinen Segel«, Motive zur zweiten Nonstop-Weltumseglung

»Kathena nui«, das Boot




Protokoll der Begegnung mit meinem Vater Wilfried Erdmann während seiner Nonstop-Weltumseglung gegen den Wind südlich von Neuseeland.


Invercargill. Warten auf Wilfried. Seit Tagen bin ich hier im Süden Neuseelands auf Stand-by. Für das Treffen mit ihm habe ich schon meinen Rückflug umgebucht. Doch „Kathena nui“ kommt kaum näher. 200 Seemeilen in einer Woche, da dauert die Fahrt ja drei Jahre. Wilfried hat mir versprochen, alles zu versuchen, um mich zu treffen. Ich weiß, wie schwer das für ihn ist.

Endlich brummt und klingelt mein Handy. „Ich bin 100 Meilen vor South Trap!“ ruft Wilfried. Er freut sich wohl riesig, diesem Felsen südlich von Stewart Island schon so nah zu sein. Ich schreie ins Telefon, er solle mir noch ein letztes Mal morgen früh seine aktuelle Position durchgeben. Die Sprachverzögerung von drei Sekunden erschwert jeden vernünftigen Dialog.

In den vergangenen Wartewochen habe ich meine Mutter zwecks Abstimmung viel zu oft angerufen und den Foto-Rucksack mit meiner Nikon-Ausrüstung nehme ich ständig und bis in die Dusche mit. Spitzt sich jetzt alles zu? Die Planung der Fotos hat mich abgelenkt und Golfspielen habe ich auch angefangen, weil mir Fallschirmspringen, Wildwasser-Rafting und Bungee-Springen zu gefährlich sind: Ich habe genug Adrenalin im Blut.

Heute fliegen? Zu spät, geschweige denn, daß noch ein Flieger frei wäre. Also morgen, denke ich. – Nichts ist. Bei der kleinen Fluggesellschaft „Stewart Island Flights“ kennt mich in der Zwischenzeit jeder, aber kurzfristiges Chartern einer Maschine ist ein Problem. Die Cessna wird momentan lackiert, die Norman Islander ist zu groß und schnell, die zwei Cherokee Six Sechssitzer sind gerade morgen in der Wartung, die alle 50 Stunden nötig ist. Oh, Mann. Die beiden Piloten Bill und Raymond beschwichtigen meine Erregung mit den neuseelandtypischen Formulierungen, "we fix something" und „we sort that out“. „Wir regeln das“ ist keine echte Beruhigung für mich. Es ist schon dunkel, als ich von Bill erfahre, daß er alles organisiert hat. Ich kann fliegen! Die Maschine wird ab 5.00 Uhr früh gewartet. Ich hoffe nur, daß er auch die Mechaniker davon überzeugen kann.

Bleibt das Wetter. Soll morgen nicht besonders gut sein. Schauer und draußen vor der Küste auffrischender Nordwestwind bis Sturmstärke. Obwohl ich Wilfried alles nur keinen Gegenwind wünsche, ein bißchen Wind wäre schon schön.

Am nächsten Morgen regnet es in Strömen, die Stimmung am Boden. Mein Handy von E-Plus ist erneut nicht zu erreichen – enttäuschend. Über meine Mutter, die am Telefon „klebt“, klappt der Kontakt. Ich bekomme die neue Position, sowie den Kurs – 250 Grad. „Kathena nui“ ist wirklich nah – nach so langer Zeit. Nur jetzt keinen Fehler machen beim Eintragen in die Seekarte. Nun, bei Windstärke 1 wird Wilfried nicht mehr als 12 Seemeilen in 4 Stunden schaffen. Selbst wenn es auffrischt. Ich stecke für 13.00 Uhr eine geschätzte Position ab.

Fehlt noch der Plastikcontainer, den ich Wilfried abwerfen will. Im Laden wurde darin Ankerkette gelagert. Kein gutes Omen. Ich stopfe das einzige harte Brot, das ich kriegen kann und die „Southland Times“ von heute hinein. Dazu Äpfel mit drei Lagen Küchenrolle eingepackt und den eben noch zu Ende geschriebenen Brief: Aufzeichnungen der letzten Tage. Es fällt mir schwer, mich in die Situation meines Vaters hineinzudenken. Ich glaube, nur er selbst kann sich trotz unvorstellbarer Strapazen weiter motivieren. Ich könnte eine solche Reise nicht machen. Weiß wieviel Erfahrung man braucht und wieviel Liebe zum Meer. Und wer hat davon mehr als Wilfried. Ich beschreibe ihm meine Seite der Vorbereitungen, meine zukünftigen Pläne als Grafik-Designer, das neue Erdmann-T-Shirt und die Reaktionen der vielen Menschen, die im Internet an seiner Reise teilhaben. Mit ein paar Keksen, Cheddar-Cheese und einem neuen Kamm ist das verfrühte Geburtstagsgesckenk komplett. Die Haare seien schwer zu kämmen, daher die Zinken seiner Kämme alle abgebrochen. Das hat mir Wilfried vor zwei Tagen telefonisch durchgegeben. Von außen umwickle ich den Container mit rotem und gelbem Klebeband und sechs Meter schwimmfähigem Tau zum Auffischen.

Mein Pilot ist Raymond Hector, der auf gleiche Weise 1987 nach dem Trimaran „Steinlager I“ von Peter Blake 250 Meilen vor Auckland gesucht hat. Raymond hat die höchste Fluglizenz und beherrscht die kleine 300 PS Cherokee perfekt. Wir werden sehr durchgeschüttelt. „Bumpy“ heißt das im Fliegergargon und ist bei nur 2000 Fuß Flughöhe normal. Ryans Creek, die kleine Start- und Landepiste auf Stewart Island, ist unser erster Stop. Wir demontieren die hintere Tür und legen sie in einen Blechschuppen. Ich werde freiwillig doppelt angegurtet. Neben der riesigen Öffnung sitze ich praktisch im Freien (siehe Foto) – bei über 200 km/h. Raymond scherzt noch: „Rettungsweste neben dem Sitz und dein Notausgang ...“ Er gibt unsere Zielposition in sein GPS ein. Waypoint: Kym. Wir besprechen kurz das Fotografieren und das Abwerfen des kleinen Containers. Achtung, bloß nicht mit der Hand im Tau verfangen.

Schon beim Start merke ich, daß es eine windige Sache wird. Dazu ein Höllenlärm, der mich sprachlos und taub macht. Mir geht nicht mehr viel durch den Kopf. Nur noch die Frage. Wo ist Wilfried? Nach ein paar Kurven und Richtungswechseln verliere ich die Orientierung. Meine Konzentration gilt dem Horizont. Der Himmel ist fantastisch aufgeklart – zirka 20 bis 30 Meilen Sicht. Sieht nach mehr Wind aus, aber wo ist das Boot? Ich verstehe nicht, warum das so schwierig ist. Vielleicht sind 10 Meter Boot einfach zu klein. Wenn das Treffen heute nicht gelingt, ist Wilfried morgen möglicherweise schon zu weit. Wir fliegen fast eine Stunde, meine Anspannung ist gigantisch. Raymond folgt schließlich Wilfrieds Kurs von 250 Grad weiter nach Südwesten und damit genau in die richtige Richtung. Ohne Raymond wäre es schief gegangen. Aus acht Meilen Distanz sehe ich ein weißes Segel. Die beiden orangenen Vorsegel, die Wilfried extra gesetzt hat, erkennen wir erst beim Näherkommen, und jetzt bin ich sicher: Ich habe meinen Vater gefunden.
Wir kreisen um das Boot, fangen bei 1000 Fuß Höhe an und kommen dann immer dichter heran. Gerade von weitem sieht das Boot so verloren aus, wie es wirklich ist. Winzig zwischen den Wellen. Eine echte Nußschale.

Je dichter wir „Kathena“ passieren desto schneller sind die Momente vorbei, in denen ich Details erkennen kann. Wilfried an Deck mit weißem Bart. Er winkt. Leider kann ich nicht zu ihm herunterrufen, aber ich winke aus dem Innern des Fliegers zurück.

„Kathena“ glänzt in der Sonne. Alles strahlt. Sie sieht wunderschön aus. Jede Minute wird das Boot schneller. Der Wind nimmt in der Stunde, die wir es umkreisen, von 3 auf 6 Windstärken zu. Für die Fotos verlangsamt Raymond das Flugzeug auf unter 100 km/h. Wir kommen „Kathena nui“ immer näher. Der Fahrtwind schlägt in meine Kamera. Wir fliegen sehr dicht heran, ich kann die Distanz nur schätzen, und 30 Meter erscheinen mir noch viel. Es fehlen nur wenige Meter, und ich könnte an Deck springen – Wilfried in die Augen sehen. Ihn umarmen.

Nach einer Stunde Kreisen werfe ich den Container in Luv von „Kathena“ aus der Maschine. Wilfried hat den Aufprall gesehen, er wendet und birgt beide Vorsegel. Der Container ist so klein, er ist zwischen den Wellen kaum zu sehen. Nach ein paar Wenden winkt Wilfried uns zu. Er hat ihn! Ich hätte es nicht ausgehalten, mit dem Ding an Land zurückzukommen, wenn wir Wilfried heute verpaßt hätten. Ich bin unbeschreiblich erleichtert.

Zum Abschied wippt Raymond die Flügel hin und her. Ein letzter Gruß an meinen Vater. „Kathena nui“ ist wieder allein.

Schnell kommt eine bleierne Traurigkeit über mich. 1000 Gedanken und Gefühle nehmen mir jede Kraft. Ich bin total erschöpft, doch am Ende hat nichts gefehlt. Es hätte nicht besser sein können. Wilfried wird seine Fahrt beenden. In Cuxhaven – und ich werde dort sein.


Danke an den STERN, der die Flugcharter bezahlt hat und an NIKON für das Ausleihen eines 15-mm-Objektivs.






Klicken Sie auf die Bilder, um eine Bildergalerie aufzurufen.


Home  |  Kathena aktuell  |  Nonstop  |  Bücher  |  Segelreisen  |  Seemannschaft  |  Vita  |  Archiv  |  Datenschutz  |  Impressum
  |  Optimiert für eine Auflösung von 1024 x 768 Pixeln  |  Gestaltung: www.erdmann-design.de