Im Konzert der MotorenMit der Trawleryacht »Starship« im Pazikik
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Im Konzert der Motoren

Mit der Trawleryacht STARSHIP im Pazifik

Segelbrüchig auf einer Insel. Und diese Insel heißt STARSHIP. Ein schwimmender Computer von 23 Meter Länge hat mich 1999 gefangengenommen. An Deck, wo bei einem Segelboot der Mast steht prägen Peitschenantennen und Radome das Bild. Auf der Brücke dominiert Elektronik und unten im Bauch des Schiffes läuft und rumort ein Maschinenpark.

STARSHIP ist eine Motoryacht. Unterwegs auf einer Entdeckungsreise um die Erde. Mit Hilfe zahlreicher Sponsoren wird für verschiedene Medien der Zustand unseres Planeten zur Jahrtausendwende erkundet. Und ich: ein Weltumsegler, der für 50 Tage die Planken wechselt. Aus der Sicht eines neugierigen Motorbootanfängers soll ich für den STERN das lange Seestück Galapagos, Marquesas, Tahiti absolvieren. Eine Verwandlung vom Segler zum Motorer ist nicht geplant.

1. Juli Puerto | Ayora

Mit meinem Seesack unterm Arm und einem Glücksgefühl, das ich habe, wenn ich Boote betrete, entere ich übers Heck. Es ist schweißheiß. Der Himmel wolkenlos blau. In der Hand halte ich bald ein blaugetöntes Glas mit Eiswasser, das vom Volumen mehr einer Blumenvase ähnelt als einem Trinkglas. STARSHIP ist eine amerikanische Konstruktion, ich weiß, da ist vieles größer, manches riesig. Beim Einchecken seltsame Extras: eine Eiswürfelmaschine, groß wie ein Kühlschrank; der Toaster hat zwei Einschnitte für dicke Scheiben; Kojen, die Doppelbetten gleichkommen; Standard sind zwei Kopfkissen; das Beiboot hat mehr Elektronik als alle meine Boote zusammen. Mindestens.

Diese Art von Yacht habe ich noch nie befahren. Wer wie der Technophile Michael Poliza, Eigner der STARSHIP, sich ein Schiff bauen läßt, der will nicht mit Schlepplog, Paddel und Klopf-Klopf-Barometer hantieren. Der will cursen, telefonieren, mailen, shatten ... Entsprechend die Ausrüstung: jede Menge Computer (14), Notebooks, zentrale Server für Seekarten, Videokameras überwachen das Schiff, ein digitaler Schnittplatz für Videos, eine Telefon- und Faxanlage mit zig Nebenstellen, ein Router für Internetverbindungen, über den Surfer von Land aus per Datenleitung an Bord gehen können. Zwei Sonargeräte ... Ich gebe es zu: Ich habe den Überblick verloren. Der 41jährige Poliza spricht dann auch von Bits und Bytes, von Megahertz und Website wie andere Seefahrer von Azimut und Abdrift. Ein papierenes Logbuch wird an Bord nicht geführt. Alle Daten sind per Mausklick abrufbar.

1. Seetag | Herzklopfen

Hier klicken nicht nur Laptops. Klick, klick macht auch die Ankerkette. Das heißt: Los geht's. Ein ganz entscheidender Schlag steht bevor: 3000 Seemeilen quer über den östlichen Pazifik. Zu den Marquesas Inseln. Niemand hat ein Tief aus Sorge vor dieser langen Strecke. Niemand ist niedergeschlagen. Und niemand hat Herzklopfen. Das überrascht mich. Das Vertrauen in STARSHIP ist offenbar grenzenlos. Es wird sich sorgfältig das Haar gewaschen. Nachdem das Deck klar ist, läuft auf dem Bildschirm im Salon ein Videofilm. Auf dem Achterdeck wäscht ein Crewmitglied schon sein Landgangshemd für die Südseeinsel. Und ich. Ich bin unsicher und neugierig. Unruhig zapple ich zwischen den drei Decks herum. Dabei sollte ich mich freuen, bin ich doch beim Eigentlichen – dem Meer. Schließlich habe ich als Segler einmal über 30000 Seemeilen allein und nonstop im Kielwasser. Da sollte ich diese 3000 doch auf einer Pobacke abfahren. Dem ist nicht so. Ich will es nicht glauben. Abends, in meiner Kajüte muß ich erstmal kotzen. Ausgerechnet ich, der auf Segelbooten nie etwas mit Seekrankheit zu tun hatte. Sind es die seltsamen Bewegungen eines Motorschiffes, dieses verdrehte Rollen über beide Achsen.

2. Seetag | Übelkeit

Dieselsparend sind wir unterwegs. Der 420-PS-MAN-Motor bringt bei 1100 Umdrehungen/Minute 7,5 Knoten Fahrt. 14800 Liter sind gebunkert. Davon 4000 in Zusatztanks an Deck. In einer Minute legt sich das Schiff in der Regel 14 Mal über. Ursache ist natürlich auch die drei Meter hohe seitlich einfallende Dünungssee. Ich führe noch immer einen Kampf mit latenter Übelkeit. Paradoxerweise stehe ich damit ziemlich allein da. Oder andere geben sich nicht zu erkennen.

Die Mannschaft: von aktivem Bordleben keine Spur. Jeder hält sich bedeckt wie das Wetter. Vielleicht steht die Distanz doch wie eine graue Wand vor ihnen. 17 Tage auf See sind halt doch eine lange Zeit für Leute, die noch nie annähernd so lange auf offener See waren.

Wir, die Crew, das sind drei Mädels und drei Männer. Trevor (35) Kapitän, der auch die Maschine im Griff hat, Australier. Monika (30), seine Frau, Österreicherin. Sie ist zuständig für Ordung, Sauberkeit und Proviant. Janet (34), promovierte Vulkanologin aus England. Sie betreut das Starship Unternehmen wissenschaftlich. Ihr Mann Rudolf (35), Kameramann und Kommunikationstechniker aus Kiel. Deckhand und Mädchen für alles Angel (25) aus den USA. Und ich – als Gast des STERN. Hauptaufgabe für alle: Wache schieben. Tag und Nacht. Auf zwei Stunden Brückenwache folgen acht Stunden Freiwache. Leerlauf wird es nicht geben. Das Schiff erfordert Wartung. Die Technik muß bedient werden. Reihum werden die Mädels Kochdienst haben. Ich habe mich verpflichtet, das Log-Tagebuch fürs Internet zu führen. Der Flachbildmonitor steht ja gleich neben meiner Koje.

Wir werden Eigner und Projektleiter M. Poliza vermissen. Er und seine Freundin Dörte Rehren haben sich für dieses Stück freigenommen – sie fliegen nach Amerika und Deutschland, um die Reise weiter zu organisieren.

3. Seetag | Im Passat

Motoren machen Lärm. Und: Motoren macht träge. Einige der Crew liegen faul vor dem Fernseher. Mit Videofilmen sind wir bestens versorgt. Janet sonnt ihre 54 Kilo an Deck und wundert sich: "Kein Vogel, kein Fisch, der STARSHIP begleitet". Ich ergänze: "Auch kein Schiff am Horizont. Kein Stück Treibgut. Nichts." In der Tat, das Meer ist absolut leer. Die gute Sicht und der damit verbundene weite Horizont verstärken diesen Eindruck noch. Der Wind kommt von achtern, schiebt mächtig. Wir befinden uns im Südostpassat. Passate sind Regionen mit stetigen und mäßigen bis frischen Winden. Passat ist für mich das schönste deutsche Wort.

STARSHIP wird mit Stick, Tastatur und Maus gefahren. Das macht mich Steinzeitsegler (meist motorlos und ohne Elektronik) mutlos und befangen. Angel kann natürlich damit bestens umgehen, während ich andauernd fragen muß: Wie funktioniert das, wie schaltet man jenes Gerät ein? Den Umgang mit meinem PC für die Internetseite habe ich mehrfach verflucht. Inzwischen geht es meinem Magen besser. Monika hat für das abendliche Dinner Reis, Curry, gebackene Bananen als Hauptgang vorgesehen. Seekrankheit hat auch was Gutes. Man hat danach wieder echten Hunger.

4. Seetag | Kajüte

Das Meer ist blau. Damit verbunden dieser knallblaue Himmel. Ostseefahrer und allemal Nordseeskipper können davon nur träumen. Kissen und Handtücher mindern das Rollen in der Koje. Draußen gluckst und rauscht die See, mein ganz privates Stück Meer zieht am Bullauge vorbei. Meine Kajüte, die ich allein bewohne, ist komfortabel. Zwei übereinanderliegende Kojen von je 1,20 Meter Breite dominieren. Belüftung bietet eine Klimaanlage. Unübersehbar die digitale Anzeige für nautische Informationen. Die Kammer ist mit einem riesigen Schreibtisch versehen. Computer, Drucker und Kabelstränge nehmen darauf den Platz ein. Die zahlreichen Schubladen, Schränken und Regale sind gefüllt mit SONY-Zubehör und allerlei Ersatzteilen. Natürlich habe ich ein eigenes Bad. Die Dusche fixiere ich auf 78 Grad Fahrenheit. Herrlich, Wasser in uneingeschränkter Menge. Die Toilettenspülung rauscht so kräftig, als käme der halbe Ozean durch. Ist ebenfalls Frischwasser.

Das Leben an Bord ist ein Computer. Janet küßt heute in der Messe erst ihren Rudolf und dann ihren Computer. In der Regel ist es umgekehrt. Angel erscheint wenig später total verschlafen. Stürzt nicht an den gedeckten Tisch, sondern an den PC: "I have to watch my Computer for e-mails." Und die kommen übergenug.

5. Seetag | Vitamin See

Schrecke mit einem Alptraum hoch aus der Koje. Eine rauschende See überflutete meine Kajüte. Doch das plötzliche Geräusch kommt von der geöffneten Maschinenraumtür. Erleichtert sacke ich ins Kissen zurück. Später im Salon kann niemand darüber lachen. Mein Hinweis "noch 14 Tage Vitamin See" versickert im Tellergeklapper.

Meine Wache bietet eine spiegelnde See voraus. Durch die Polaroidbrille erscheint das Meer im Gegenlicht unendlich mystisch. Die Stimmung ist erstmals gelöst. Jeder hat was zu berichten: Cayman Island, Sansibar, Tauchen ... Die Gesichter heller. Zuversichtlicher. Falten um die Augen sind verschwunden. Abends wird mit leuchtenden Augen eine Bestelliste für neue Videos aufgestellt.

6. Seetag | Es kracht

Es rollt, das glaubt mir keiner, einem die Galle hoch. In der Kombüse fliegt Geschirr, und von der Köchin höre ich lautes Fluchen. Es kracht auch unter Deck: Motor und Generator sind allgegenwärtig. In der Koje kommt das saugende Geräusch der Stabilisatoren hinzu. An Deck gibt`s die ersten Gehässigkeiten: Mittags zicken sich dunkel und blond. Ärger bereitet meine Internetseite: Spaßeshalber nannte ich Angel "Slave", als sie mit einem Staubsauger durchs Schiff hangelte, dessen Rüssel so lang war wie das Boot.

7. Seetag | Zeitgefühl

"Heute ist doch Samstag? Ach, erst Freitag. Na, spielt auch keine Rolle." Der Wochentag hat keine Bedeutung. Fakt ist: Zeit ist nur innerhalb des Wachsystems wichtig. Niemand wird mit Nachrichten, Rechnungen konfrontiert. Geld ist auch kein Thema. Die Geldbörse liegt tief unten im Schrank. Politik interessiert erst recht nicht. Kurzum: All die Dinge, die Landratten den Kopf verdrehen und Probleme bereiten, sind auf dem Meer fremd. Hier geht`s ums Schiff: Öldruck (30 bar), Drehzahl (1100), Dieselverbrauch für Generator (7 Ltr./Std.), Etmale (200 Seemeilen), Deckwaschen. Die Meerwasser-Entsalzungsanlage produziert täglich viertausend Liter Frischwasser, die können verbraucht werden. Navigation? Kurslineal und Zirkel sehen unbenutzt aus. Position und Kurse rechnet der GPS-Computer aus und zeichnet sie auf elektronische Karten. Dem Sonnenstand wird kein (Navigations)blick gegönnt.

Wir sahen bisher: einen Sturmvogel, zwei undefinierbare Vögelchen, zwei Wale in der Ferne und soeben überholten wir eine metergroße Schildkröte. Dr. Janet, unsere Wissenschaftlerin, ist sehr enttäuscht. Nichts. Auch keine Segelyacht mit Kurs Polynesien.

8. Seetag | Figuren

Die Sonne strahlt und brennt. Wenige Wolken. Ein typischer Passathimmel. Mit einer Tasse Tee setze ich mich in der Früh in den Bugkorb. Vorn übergelehnt, die Beine über Bord baumelnd beobachte ich, wie STARSHIP die See auseinanderschiebt. Das Schauspiel der Gischt, der Kampf der Schaummassen, die Reflexe des Lichts begeistern mich täglich aufs Neue. Wellen holen einander ein, schlucken sich, verlieren an Kraft, fallen endgültig in Höhe der Schiffsmitte zusammen und enden im Nichts des Kielwassers. Dabei entstehen seltsame Figuren, die die Phantasie und zum Träumen anregen. Auffällig, wie leicht und mühelos, ohne mächtige Bugwelle, sich 100 Tonnen Schiff durchs Meer schieben. Dabei kommt das Schiff alle paar Minuten aus dem Rhythmus. Der Gleichschritt der Wellen legt nämlich regelmäßig eine Pause ein, so daß STARSHIP förmlich ins Stolpern gerät und sich ein breiter Schaumstreifen weit vor den Bug legt.

Wasserablauf, das Verhältnis Speed/PS, deutet auf eine bewährte Konstruktion. Stelle mir vor, selbst in stürmischem Wetter wird STARSHIP eine gute Figur machen – sofern die Technik standhält. Der von mir gebrauchte Ausdruck Motoryacht ist eigentlich fehl. Die lichtgraue Farbe des Rumpfes, die schlanken Linien, der Antennenturm und das üppig ausgerüstete Beiboot geben dem Betrachter den Eindruck, es handele sich hier um ein Forschungsschiff oder wenigstens ein Küstenwachschiff. Unter Deck setzt sich dieses Bild fort. Keine polierten Edelhölzer suggerieren Luxus. Salon, Brücke, die fünf Kabinen sind angenehm mit geöltem Teakholz und hellen Flächen abgestimmt. Schnörkellose, solide Bootsbauarbeit. Noch ist keine Tür aus den Angeln gefallen.

Zum Thema Figuren gehört auch die Crew: Sie machen allesamt eine körperlich außerordentlich gute Figur. Alle, mich eingeschlossen, haben einen flachen Bauch. Die Mehrzahl ist erstaunlich muskulös. Janet hat Armmuskeln, hart wie die frisch gefrorenen Würfel aus unserer Eismaschine. Die sehnige Figur beruht auch darauf, daß das Leben auf einem reisenden Schiff immer Bewegung bedeutet. Beim Gehen, Teeaufbrühen, in der Koje, vor dem Computer. Immer muß der Körper das Rollen des Schiffes kompensieren. Selbst im Schlaf ist der Körper oft angespannt.

9. Seetag | Position 05°06´ Süd – 115° 02´ West Bergfest

Wie in Zeitlupe fliegt die Meereslandschaft an meinem Kajütfenster vorbei. Seit neun Tagen nun das gleiche Bild: meist blauer Himmel, vereinzelt helle Wolken, tiefblaue Wellen immer aus der gleichen Richtung und mit mehr oder weniger weißen Schaumköpfen. Heute kommt hinzu, daß das Schiff mächtig zur Kehr geht, 20 bis 30 Grad, und die Plexiglasscheibe regelmäßig unter Wasser verschwindet.

Der Ablauf des Tages: Wache, Kochen, Bootspflege, Videofilme, Schlafen ... Natürlich müssen Schiff, Motor und Computertechnik versorgt werden. Man rechnet das, was sich zwangsläufig wiederholt nicht zum Getanen.

Bergfest. Die Hälfte Meilen zwischen Galapagos und Marquesas im Kielwasser. Das gilt es mit einem Festessen zu feiern. Und ausnahmsweise zwei Flaschen Rotwein. Rudolf hat eine anspruchsvolle Menükarte konzipiert. Monika und Janet sind den Tag über in der Kombüse zugange, um das Anspruchsvolle auch umzusetzen. Mit Hilfe eines 220 Volt Backofens und Herdes, mehrerer Kühl- und Tiefkühlschränke und einem 1133 dicken Kochbuch (Joy of Cooking) gelingt es ihnen – sehr. Frage: Wie wollen sie es toppen, wenn wir die Passage wirklich gemacht haben. An Bord sind nur die Dieseltanks gut gefüllt – nicht die Bar. Alkoholische Getränke sind auf See verpönt.

10. Seetag | Weiter

Die Zeit geht dahin: schäumende Bugwelle, Meer, Horizont. Manchen geht das auf den Geist. Mir nicht. In meiner letzten Wache habe ich die Teakbrüstung gestreichelt. Ein Zeichen, daß ich das Motor-Entdeckerschiff angenommen habe? Nicht wie ein Segelboot. Aber ich fühle mich zugehörig.

Um die Stimmung an Bord aufzulockern, erzähle ich Persönliches von meinen Reisen. Jedoch kein Nachhaken.

11. Seetag | Titanic

Wie konnte ich mir das nur antun. Drei Stunden "Titanic"-Videofilm auf 4173 Meter Wassertiefe. Mitten auf dem Pazifik im Salon der kleinen STARSHIP. Als Beigabe eine Dünungssee, die uns mächtig "geigen" läßt. Wir fahren einen ruppigen Schlingerkurs. Es gibt nicht viele, die unter diesen Umständen solch ein Filmerlebnis teilen. Monika hat mit mir durchgehalten – ohne Taschentuch. Während die Decks der "Titanic" auf dem Bildschirm kopfüber wegsackten, zog sich unser Bug aus dem Wasser, und das Achterdeck wurde naß. Rauschte dort eine Wasserfront durch die Gänge, knallte hier eine See hart gegen die Bordwand und überspülte Gangbord und Fenster. Schon paradox, daß die nassen Szenen immer konträr zu den Bewegungen der STARSHIP standen. Traf uns eine Welle von Backbord, rollte die Titanic im Film nach Steuerbord weg. Schier unglaublich. Die Bewegungen intensivieren sich beim Betrachten. Man nimmt die Realität als Film wahr, und weiß bald nicht mehr, was ist Wirklichkeit, was Film. Als in einer Filmsequenz die Teller aus den Regalen stürzen, ließ eine Wellenserie STARSHIP soviel Schräglage schieben, daß auch bei uns das Geschirr über die Anrichte sauste.

12. Seetag | Nachtwache

Nachtwache. Meist wird fünf Minuten vor Beginn geweckt. "Wilfried, it`s your watch!" Bordsprache ist englisch. Ich komme aus einem Tiefschlaf. Zerknautscht erscheine ich auf der Brücke: Alles klar? Sekunden später bin ich allein. Um nicht vorrangig mich überwachen zu müssen, sondern das Schiff, kille ich erstmal etliche Tassen Tee. Selig wandere ich von Steuerbord nach Backbord. Das sind fünf Schritte. Am liebsten stehe ich jedoch zwischen Deck und Brückentür. Zum einen habe ich von dort die wichtigsten Anzeigen im Auge: Kurs, Log, Kartenplotter, Instrumente der Motorüberwachung. Andererseits spüre ich den milden Wind in meinem Gesicht. In mich versunken nehme ich Meer, Sternenhimmel, Horizont und Schiff nur schemenhaft wahr. Bilder gehen mir durch den Kopf: die Kirschenschwemme in unserem Garten; die türkisfarbene Lagune von Bora Bora; immer wieder der Segeltörn mit STERN-Lesern, um vor Mururoa gegen die Atomtests zu protestieren.

Letzte Nacht nahm der Titanic-Film mein ganzes Denken in Anspruch. Aufgewühlt von den dramatischen Bildern gab`s in der Realität Nachschlag. Es war die Nacht der langen, großen Wellen. Schlimmer noch als im Film am Nachmittag wurde die See zunehmend wild und hoch. Brechende Wellen erreichten fünf Meter Höhe und schoben das Schiff voran. Ab Schiffsmitte zogen die Schaumstreifen in der Dunkelheit wie die Flügel einer Concorde schräg weg. Das Log schnellte dabei von knapp 8 Knoten auf 11,8.

Wahnsinn: Das Geräusch der schäumenden See übertönte Motor und Generator. Das war Surfen. 100 Tonnen im Surf. Das muß man sich vorstellen – 100 Tonnen für fünf Sekunden auf einem Wellenkamm. Ich wollte dieses Vorankommen gerne Rudolf zeigen, aber der war beschäftigt, Bilder und Texte auf den E-Mail-Weg zu bringen. Das Schiff blieb auch bei diesem Tempo auf Kurs – brach maximal zehn Grad je Seite aus. Das ist ein Verdienst von Mr. Robertson – unserem Autopiloten. Tag und Nacht steuert er den vorgegeben Kurs. Ich hatte noch keine Hand am Steuerrad.

13. Seetag | Noch 700 Meilen

Was soll das tägliche Deckwaschen? Rudolf und Monika haben sich deswegen viel zu sagen.

Aus dem Lautsprecher währenddessen Van Morrison "Why must I always explain?" – im Konzert der Motoren.

Das Lied bringt mich auf die Idee, eine Umfrage zu starten: Noch 700 Meilen bis zum Landfall, was denkst und empfindest du dabei?

Janet: Erscheint mir noch viel. Ich verliere die Geduld. Es frustet: Immer das gleiche Wetter. Kein Vogel, kein Schiff, keine Insel.

Rudolf: Das der Streß bald von mir abfällt. 17 Tage auf See mit Mitfahrern, die man sich nicht ausgesucht hat. Ich akzeptiere es – liebe es aber nicht.

Angel: Okay. Gute Aussichten. Nichts "is bothering me". Halt mein Job. Heute die Kombüse, morgen Wache und Deck – bald sehen wir ja Land.

Trevor: Ein gutes Gefühl. Ist besser, die Fahrt geht bald zu Ende – wegen der Zeit und der Stimmung.

Monika: Gottseidank. Morgen sind es nur noch 500. Will endlich Land sehen, riechen, fühlen. Grünes Land. Besonders nachdem schon die Galapagos so trocken, steinig und vegetationslos waren.

Ich habe mich auch befragt: Seetage sind mein Leben. "Why always explain?" Ich skizziere die avisierte Bucht Taiohae in mein Tagebuch.

14. Seetag | Angeln

Mit dem ersten Lichtstrahl der Morgendämmerung lasse ich Leine ab. Auf dem brodelnden Heckwasser springen Haken und Köder, ein handflächengroßer Plastikfisch, lange auf und ab. Erst bei 100 Meter Leine habe ich das Gefühl, daß die 80 Kiloleine den Haken unter Wasser hält. Beim Prüfen der Spannung habe ich zuweilen den Eindruck, es habe was angebissen, aber ein Fisch bestimmt nicht, denn dann bleibt die Spannung nicht gleichmäßig. Als Nichtfischesser berührt es mich überhaupt nicht, daß wir erfolglos sind. Es ist einfach schön, achtern zu sitzen und abwechselnd aufs weite Meer und in die aufgehende Sonne zu blinzeln. Das Licht changiert, hell und dunkel, die wenigen Wolken werfen Schattengebilde aufs Wasser. Die anlaufenden Wellen treffen im schrägen Winkel auf das schäumende Kielwasser, das wie eine Barriere alles bricht. Mit einer Rollbewegung schwappt eine See übers Achterdeck. Ich bekomme nasse Füße. Zeit für eine Muck Kaffee.

15. Seetag | Das Meer

Schau ich aus dem Kombüsenfenster, es bietet die beste Aussicht von innen, habe ich die Bugwellen vor Augen. In einiger Entfernung die weißen Kämme der knapp vier Meter hohen Wellen. Dann einen geraden Horizont. Hinter dem Horizont, genau Steuerbord querab, gibt es nur Wasser – bis zur kanadischen Küste. Kein Land, keine Insel liegt dazwischen. Auf der Backbordseite ist die Entfernung noch krasser: Bis zur Antarktis befindet sich auf diesem Längengrad kein Stück Land. Nur unendlicher Pazifik.

16. Seetag | Polynesien

Morgen ist Landfall. STARSHIP wird nochmal richtig durchgewaschen. Die Passage geht zu Ende. Das Abendessen ist mit Spannung scharf gewürzt. Es geht um Banalitäten: Trockner, Waschmaschine, Staubsaugen. Oder: Ist der höchste Berg der Marquesas nun 1224 oder 1229 Meter hoch. Rätselhafte Dialoge ohne erkennbare Lösungen.

Die Seekarte von unserer Landfallinsel Nuku-Hiva liegt auf dem Tisch. Ein gewaltig zerklüfteter Vulkanschroffen mit zahlreichen Buchten. Es gibt kaum plane Flächen. Überall Abstürze ins Meer und wenige Sandstrände.

Die Marquesas, ein Archipel von neun Inseln, werden von Tahiti aus verwaltet. Und das wiederum von Paris. Das ganze, die Tuamotu-Atolle inbegriffen, heißt Französisch Polynesien.

17. Seetag | Baie de Taiohae

Ankunft mit Sonnenaufgang. Steil aus dem Wasser ragende Berge. Landgeruch lullt uns ein. Um zu genießen, tukkern wir langsam in den Scheitel der tiefen Bucht.

Das Ankermanöver fährt Trevor. Monika löst die Ankersicherung. Steckt in einem Rutsch 90 Meter Kette und sichert sie sorgfältig an der Winde. Trevor unterbricht die Stille auf dem Vordeck: "Okay", und nach einer Pause, "let`s have breakfast." Das war`s. Ich denke, das kann nicht alles sein. Und springe in voller Montur und laut schreiend "TAIOHAE" über Bord. Rudolf in Sekundenschnelle mir nach. Das tut gut, nach den Seetagen vom Boot runter aufs Wasser jetzt das Schiff aus entgegengesetzter Perspektive zu sehen. Es ist wunderbar, beim Schwimmen die Kräfte des Wassers zu spüren – lebendiges Seewasser. Gemeinsam runden wir STARSHIP. "Gut gemacht, STARSHIP," sagt Rudolf.

Auf der Brücke werden mit dem Rechner Zahlenreihen bewegt: 3036 Seemeilen in 15 Tagen und 16 Stunden; Durchschnittsgeschwindigkeit 8,1 Knoten; Dieselverbrauch 19,5 Liter/Stunde.

20. Juli | Kajüte 40 Grad Celsius

Die Klimaanlage arbeitet nicht. Trevor, unser Kapitän und Ingenieur, ist deswegen mächtig in Wallung. Nun ist STARSHIP eine Konstruktion, die ohne Aircondition nicht bewohnbar ist. Kaum ein Bullauge oder Fenster läßt sich öffnen. Folge: elendige 40 Grad Celsius in der Kajüte.

In der allerersten Kneipe vom Steg aus, einer Blätterhütte, feiert ein Teil der Crew die gelungene Überfahrt – bis zum Aufstuhlen. "Nuku-Hiva mit dem Motorboot, ich könnte weinen." – "Warum arbeiten die Stabilisatoren nicht effektiver?" – "Kathena, mein erstes Boot, eierte nicht so stark vor der anlaufenden See." – "Wenn Kolumbus uns nautisch sähe, würde er sich im Grab umdrehen." – "Freiheit weiß man erst zu schätzen, wenn man sich ständig beobachtet fühlt." Man hat sich viel zu erzählen. Wenn auch eine Flasche Hinano Bier sieben Mark kostet, wird der Abend trotzdem nicht teuer. Als wir in die dunkle Nacht hinausgehen, höre ich: "Wilfried, ich glaube die Eichpunkte müssen wegen Entwöhnung neu gesetzt werden."

21. Juli | Anse Hakatea

Seefahrer was willst du mehr? Einen schwellfreien und geschützten Ankerplatz. Der Blick geht in Hakatea auf ein sandiges Ufer, dahinter eine kleine Plantage mit ungewöhnlich, wohl 30 Meter hohen Kokospalmen. Wild und verlockend macht diese Ankerbucht ein schmales, weit ins Land gezogenes Tal, flankiert von steil aufragenden Felswänden, rund 600 Meter hoch. Ein über Fels und Geröll rauschender kleiner Fluß gibt dem Ganzen Lebendigkeit. Versteckt unter einem Brotfruchtbaum eine einzelne Wellblechhütte. Am Strand ein paar Hunde, gakkernde Hühner, eine einzelner Mann. Der einzige feste Bewohner dieser idyllischen Bucht.

Als Captain James Cook 1774 auf den Marquesas halt machte schätzte er die Bevölkerung auf 70000 bis 100000 Menschen. Cook hielt sie für die robustesten unter allen Polynesiern. Er täuschte sich. Zum einen führte der Mangel an Ackerland zu Hungersnöten und den damit verbundenen Konflikten und Kriegen. Zum anderen wurden ganze Täler entvölkert, nachdem die Zivilisation mit Missionaren, Holzfällern und den vernichtenden Walfängern und Abenteurern einfielen. Sie brachten Feuerwaffen mit – und Krankheiten: Masern, Typhus, Keuchhusten, Syphilis griffen rasch um sich. Die Bevölkerung der Inselgruppe wurde fast ausgerottet. 1927 lebten hier noch ganze 2700 Insulaner. Heute ist die Zahl wieder auf über 7000 gestiegen.

22. Juli | Haahopu

Verholen nach Haahopu an die Westküste Nuku-Hivas um die beiden berüchtigten Kaps Motumano und Matateteiko. Bei diesen Ortsbezeichnungen, ausgesprochen wie geschrieben, denken sicher einige, die haben zuviel Sonne abbekommen. Zugegeben: ich allemal. Am späten Nachmittag lag ich während der zwei Stunden Überfahrt im Bugkorb, dem ruhigsten Ort an Bord, und schaute trotz brennender Sonne wie gelähmt auf die vorbeiziehende Landschaft.

23.Juli | Taiohae

"I want to GO to AnaHO". Ich sah die Bucht, von Sand und Palmen gesäumt, auf der schönsten Ansichtskarte der Marquesas. Und warum soll man sich nicht Ziele nach Postkarten aussuchen. Nur, unser avisiertes Ziel Anhaho müssen wir leider wegen technischer Gründe streichen. Seitdem ich länger an Bord bin, glaube ich nicht, daß, wie man leichthin vermutet, STARSHIP mit gefüllten Dieseltanks nach Fahrplan fahren kann. Ich glaube auch nicht, daß wir uns auf die Sicherheit eines für alle Eventualitäten ausgerüsteten Schiffes verlassen dürfen. Die Reisepläne eines Motorverdrängers geraten ebenso in Unordnung wie die eines Seglers.

24. Juli | Anaho

Eigner Michael Poliza und seine Freundin Dörte, zuständig für Koordination, fliegen ein. Schick und frisch, ohne Anzeichen eines Langstreckenfluges im Rücken. Beide bekommen reinen gepreßten Orangensaft in die Hand, Blumenketten um den Hals und ein "Herzlich Willkommen in Polynesien." Der schwere Duft der Tiareblüten durchzieht bald den Salon. Ein weiteres Willkommen ist dann endlich Anaho: Eine Stunde später Anker fallen in der schönsten Bucht der Insel, mit sandigen, einsamen Palmenstränden und einem atemberaubenden Bergmassiv.

27. Juli | Routenplanung

Frühstück. Fein drapiert der gedeckte Tisch: Gekochte Eier, Baguette, eine Dose Neuseelandbutter, der 26. Del Monte Fruchtsalat, gefaltete Servietten. Dazu eine Atmosphäre wie in Uschis Frisierstube in Brodersby vor Weihnachten. Nur an Stelle Radio-Schleswig-Holstein und Haartrockner knattern hier Generator, Computer, Faxgerät. Konträr auch die Themen, die kreuz und quer und geradeaus über den Tisch schwirren: Höhlentauchen, Geschichte, Hubschrauberfliegen, Kursplanung. Was steht noch an bis Tahiti, wo ich abmustern werde. Sofort wird der Salontisch abgeräumt. Seekarten sind jetzt das Menü. Derzeitige Planung. Wir tuckern weiter durch die Marquesas: Ua-Huka, 30 Meilen nach Osten als nächste Insel. Dann Tahuata, Fatu-Hiva und danach südwärts 3 oder 4 Tuamotu Atolle.

30. Juli | Ua-Huka

Es regnet. Endlich Regen im Paradies. Große Tropfen, warm und angenehm. Und endlich ist der Himmel einmal nicht blauweiß, sondern fleckig in verschiedenen Grautönen. Statt tiefblau zeigt sich das Meer mattgrau. Ua-Huka.

Der Landgang in dieser schwelligen Bucht ist jedesmal ein riskantes Unterfangen – für uns sowie für das Schlauchboot. Anlanden geht an der Felskante nur einzeln. Will sagen: Einer springt, zugleich wird das Boot zurückgefahren, kommt vorsichtig wieder an die Steinplattform, dann jumpt der nächste, oder auch nicht ... neuer Anlauf ...

Gestern ist mir das nicht so aufgefallen – das Rutschspringen. Beschwingt von den Klängen einer Begrüßungscombo, betört von schwerem Blütenduft und umgeben von lächelnden Mädchen, die uns Blütenketten um den Hals legten, war es ein Traumempfang. Der Seemann darf sich hier noch als Gast wähnen. Sogleich tanzten acht Südseemädchen blättergeschmückt, mit Blüten im Haar barfuß auf dem Lavagestein ihre einheimischen Tänze, bei denen Hüften und Beine besonders in Aktion treten. Diese Ankunft werden sicher alle, ohne schwer romantisch zu sein, lange mit sich im Kopf tragen: tanzende, singende Mädchen, eine Ukulele, eine Trommel, die auf einem Steilhang mitklatschenden Dorfbewohner. Und das Grandiose: Alles fand statt auf nackten, schwarzen Felsplatten vor einer Kulisse von zwei hochaufragenden Bergrücken und blauweißen Wolkenbildern. Ein typisches Südseeszenario. Dem Charme erlegen, habe ich meine Blütenkette über den Computer gehängt.

31. Juli | 110 Seemeilen

Seefahrt tut allen gut. Auf See sein heißt, jeder kennt seine Aufgaben. Wache zum Beispiel. Oder Decksarbeit. Die frei haben, dösen im Salon, andere in ihren Kojen. Wieder welche waschen Wäsche oder klarieren ihre persönlichen Dinge. Gekocht wird auch – in aller Stille ein Nudelauflauf. Habe Sorge, daß bei den zahlreichen Aufläufen das Schiff mal auf(Grund)läuft.

Die momentane Ruhe an Bord resultiert aus der letzten Nacht. Nicht das für uns inszenierte Dorffest wirkt nach, es war der Ankerplatz. STARSHIP wurde zum Rodeopferd. Nach allen Richtungen hin lies eine kurze steile See das Schiff rollen, wie ich es selbst mit einem Segelboot noch nicht erlebt habe. Niemand konnte in seiner Koje Schlaf finden. Schräglage in Zahlen: 30 Grad. Seefahrt ist immer noch wesentlich umständlicher und erlebnisreicher als eine Hotelbuchung.

1. August | Hanavave, Fatu-Hiva

Trevor, unser Kapitän, reicht als "Ankommer" eine Runde Bier. Die Dosen sind noch nicht alle aufgerissen, da ereilt uns eine schreckliche Nachricht. Von einem längsseits gehenden Kanufahrer hören wir, daß ein Fischer samt Familie seit gestern an der Ostküste der Insel vermißt wird. Vater, Sohn und Tochter. Nur die 18jährige Nichte konnte sich schwimmend ans steile, felsige Ufer retten. Das Kanu kippte seine Insassen über Bord und schoß anschließend mit laufendem Außenbordmotor in die offene See. Die Dorfbewohner möchten, daß wir nach den Verschollenen tauchen. Es ist die Luvküste mit all den Tücken einer Windseite. An Bord wird für morgen ganz früh ein offizieller Tauchtermin angesetzt. Offiziell, weil auch die zuständige Behörde in Tahiti uns per Funk darum bittet.

2. August | Drei Tauchgänge

14 motorisierte Kanus und kleine Gleiter sowie STARSHIP und der Tender, unser Zodiac-Beiboot, machen sich um 7.00 Uhr auf, um nach der verunglückten Familie zu suchen. Während die Kanumannschaften und STARSHIP die Küste abkurven, gehen unsere beiden Taucher, Trevor und Angel, vom Tender aus auf Tiefe. Gewissenhaft und mit aller Ernsthaftigkeit wird die Ausrüstung dafür zusammengestellt.

Wir finden nach sieben Stunden Suche: einen blauen Kanister am Ufer. Sonst nichts – kein weiteres Treibgut, kein Kanu.

Gegen Abend nehmen wir unsere Taucher Angel und Trevor an Bord. Sie sehen angestrengt aus. Wie nach einer Schicht "unter Tage". In Angels blauen Augen aber auch ein Glänzen, wie man es hat, wenn eine besondere Leistung dahintersteht.

Frisch geduscht sitzt Angel in der Messe. Beide Hände um eine Muck Kaffee: "Wir haben drei Tauchgänge gemacht. 135, 154 und 81 Fuß." 154 Fuß bedeuten 46 Meter. "Jeweils 60 Minuten waren wir unten. Sicht gut. Große Steine, Sand, Geröll und Korallen am Meeresgrund. Trevor und ich schwammen im Abstand von drei Metern nebeneinander. Der erste Tauchgang ging nach Norden. Beim zweiten Gang ergriff uns eine starke Strömung und trieb uns rasch südwärts. Hier hatte der Inselsockel zahlreiche tiefe Steinspalten. Mühsam arbeiteten wir uns zwischen den Boldern durch. Das Suchen war kolossal anstrengend. Vor Erschöpfung fiel mir der Regulator beinahe aus dem Mund." Am Ende hatte die Strömung die Taucher weit abgetrieben, sodaß sie beim Auftauchen kein Boot sichteten. Mit Hilfe einer Trillerpfeife machten sie Rudolf, der den Tender fuhr, aufmerksam. "Der dritte Tauchgang war weniger gut. Zwei bis drei Meter hohe Brandungswellen. Trotzdem machten wir im Zickzack die Bucht komplett." Zwischen jedem Tauchgang legten die beiden eine Stunde Pause ein. "Dabei hatten wir das Gefühl, die Einheimischen verstanden nicht, daß man nach solchen Tiefen eine Pause einlegen muß." Angel scheint bei Brandung und Strömung keine Angst zu haben. Sie antwortet auf meine Frage danach: "Tauchen ist mein Job. Ich hatte nur Sorge und habe sie noch, nicht die Erwartungen der Insulaner zu erfüllen."

Für morgen ist nochmals eine ganztägige Suche angesetzt. Mit zwei Tauchern der Gendarmerie aus Tahiti, die inzwischen eingeflogen sind. Und natürlich mit STARSHIP, da es sonst keinen Tauchkompressor gibt.

Michael sagt, nachdem das Schiff seinen Ankerplatz vor der Bilderbuchkulisse von Hanavave gefunden hat: " Wie grausam das Meer sein kann. Gut hundert Meter vom Ufer fallen die ins Wasser – in richtig warmes Wasser – und ertrinken."

3. August | Hanavave

Niemand hat Lust an Land zu gehen. Dabei ist Fatu-Hiva die spektakulärste Insel der Marquesas.

Fortsetzung der dramatischen Suche nach Vater (46) Sohn (3) und Tochter (18). Es findet eine Art Reihentauchen zu fünft statt. In zirka 30 Metern. Das gestrige Tauchgebiet wurde dabei nach Norden und Süden hin erweitert. Zur offenen See hin zu forschen ist eh zwecklos. Das Meer fällt von 50 Metern steil ab. Wie zu erwarten keine Spur von den Vermißten. Allerdings wird eine Shorts mit Fischmotiven in 28 Metern Tiefe gefunden. Zerfetzt von Haibissen. Die Polizeitaucher deuten sofort die Reihe von eingerissenen Dreiecken im Stoff als Haibisse. Nachdem im Dorf sicher gestellt ist, daß es die Hose des Vaters ist, wird die Suche abgebrochen. "Wo Haie einmal tätig sind, bleibt nichts übrig," ist die einhellige Meinung der robusten Taucher.

4. August | Omoa, Fatu-Hiva

Nach Beendigung der Tauchsuche gestern, gab es eine Andacht in der kleinen Kirche von Omoa, dem Nachbardorf. Alle 240 Bewohner erschienen. Es war sehr, sehr traurig, obschon ich kein Wort verstand. Polynesisch ist eine melodische Sprache. Anschließend wurden wir vom Bürgermeister zu einem Essen ins Gästehaus gebeten. Der Gouverneur der Marquesas und der Bürgermeister bedankten sich in langen Reden, wegen der Übersetzung vom marquesischen ins französische und weiter ins englische, für den selbstlosen Einsatz. Beeindruckt hat mich die Bemerkung der Polizeitaucher aus Tahiti, daß unser Tauchequipment und der Umgang damit allen professionellen Ansprüchen genüge. Zuvor hat die STARSHIP-Crew der Frau des Pirogenfischers ihr Beileid ausgesprochen. Mareva Mote wohnt in einem recht kleinen aber typischen Inselbungalow. Holzbau mit Wellblechdach. Der Boden weiß gefliest. Die Wände mit Speer, Gewehr und Fotos der Familie dekoriert. Ein Sofa, fünf Stühle und ein Tisch sind alles im Wohnraum, der direkt an die Eingangstür anschließt. Mareva Mote nahm unser siebenköpfiges Erscheinen sehr gefaßt auf. In ihrem geblümten Kleid, langen und zusammengebundenen Haaren machte die schlanke Frau einen erstaunlich guten Eindruck.

5. August | Auf See

Wehmut gestern abend beim Verlassen von Fatu-Hiva, einer Insel, an deren Strukturen man sich nicht sattsehen konnte.

STARSHIP pflügt durch eine ruhige, tiefblaue See. Keine Welle stört den Kurs. Das Bugwasser beidseitig ebenmäßig. Der Horizont weit und sichtig. Ein Seetag vom Feinsten.

Achtern flattern anstelle von gewaschenen T-shirts inzwischen Pareos "zum Gebrauch am Strand." Die Tuamotus, unser Ziel, sind mit Sandstränden endlos versorgt.

Ich habe den Tuamotu-Archipel von 78 Inseln nie betreten. Das berühmteste Tuamotu-Atoll ist zweifellos Mururoa. Es diente den Französischen Militärs als Austragungsort von insgesamt 190 Atomtests. Man hat es fast vergessen, nachdem Paris auf Grund der weltweiten Proteste ab 1996 auf jegliche Nuklearversuche im Pazifik verzichtet hat.

6. August | Der blaue Traum

Ein blauer Tag in der Lagune von Raroia. Der Himmel wolkenlos. Die Meeresfarbe blau. Sehr farbgetränkt die Lagune in verschiedenen Blautönen. Ein dunkelblau bei Tiefen über 20 Meter, darunter ein entsättigtes Blau und wenn`s flach wird türkisblau. Die Farbe blau ist auch an Bord allgegenwärtig: Ich trinke mein Wasser aus blaugetönten Gläsern. Unser Tischtuch ist blau, die Tidenkurve wird blau ausgedruckt, hellblau die Bordhandtücher und die Deckel der Tupperbehälter. Und ich habe ein blaues Hemd an. Warum trage ich überhaupt ein Hemd? Die Digitalanzeige in der Kajüte signalisiert 31 Grad. Die Klimaanlage arbeitet tückisch. In Tahiti wartet der Mechaniker auf uns – und wir auf ihn. Der Blick auf die Temperatur läßt mich zum Kanu stürzen und an Land paddeln. Eine blaue Lagune ist erst dann ein blauer Traum, wenn man unter einer Palme liegt – voraus die Farbschattierungen des stillen Wassers, über einem durch die gefächerten Blätter der kobaltblau Himmel.

8. August | Raroia

Haie üben auf Taucher eine wahnsinnige Faszination aus. Gestern gab es ein Spiel mit 50 Grauen Riffhaien in der Riffpassage. Michael und seine Taucher, lieber unter Wasser als an Land, wiederholten heute das Abenteuer. Ließen sich ebenso wie die vielen Haie mit der Strömung über Grund treiben. "Machten heute einen aggressiven Eindruck," hörte ich. Aber ergänzend: "Was können meterlange Haie schon tun."

10. August | Chili con carne

Dörte hat heute Kochdienst. Grundsätzlich wundere ich mich, daß all die knapp 30jährigen Mädels so gut und experimentierfreudig kochen. Die dunkelhaarige Dörte hat ein "Chili con carne" mit trockenem Reis und Banane hingelegt, das entlockte mir, "auf meinem nächsten Törn nehme ich dich mit – zum Kochen," worüber sie nun gar nicht lachen konnte.

11. August | Rangiroa

Rangiroa. Von See aus ein Atoll wie hundert andere. Große und kleine Palmeninseln unterbrochen von Riffbrandung. Rangiroa aber ist das zweitgrößte Atoll der Erde und von der Tourismusindustrie voll genutzt. Eine Reihe Hotels haben sich am Ufer dieser Tuamotusinsel eingerichtet. Vom angekratzten atomaren Image keine Spur. Alles ist ausgebucht. Das Hotel Kia Ora hat ein Dutzend "fares", kleine Häuschen im traditionellen Stil mit Blätterdächern, auf Stelzen in die Lagune gebaut. Hölzerne Stufen führen in die türkise Lagune. Eine Übernachtung in solch einem Overwater-Bungalow kostet 500 US-Dollar. Jeder Raum, selbst das Bad, ist mit frischen Blüten geschmückt. Das Kia Ora hat für jeden Zweck ein separates "fare". Die Rezeption unter eigenem Dach, das Restaurant, die Boutique, die Bar ... In die entführe ich die Crew zu einem Drink. Ein Mix aus light rum, banana cream, fresh fruit juice, cream of cacao, vanilla. Umgerechnet 19 Mark. Happig der Preis. Nun, in paradiesischer Umgebung wiederum nicht.

13. August | Kurs Tahiti

Da wir Samstag in Tahiti sein müssen, wird die Abfahrt um einen Tag vorgezogen. Ich hätte mich noch gerne umgesehen. "Wilfried will immer einen Tag länger bleiben." Ja, ich wäre zum Verrecken nicht am Freitag, den 13. ausgelaufen. Doch der Aberglaube hat an Bord keine Chance.

Am Nachmittag verlassen wir die blaue Atollwelt. Im quirligen Schraubenwasser verlieren sich die niedrigen Inseln schnell am Horizont. Die Mannschaft macht das Schiff seeklar. Wieder versinkt ein Atoll, die kleine Großartigkeit, im Meer. Der Motor dreht mit 1600 Umdrehungen. Die Abluft zischt aufs Achterdeck. Die Stabilisatoren saugen und ächsen. Aus der Kombüse riecht`s nach Hühnerfleisch. Im Recorder surrt ein Videofilm. Wann sind wir in Tahiti? Schon in 22 Stunden? STARSHIP rollt und stampft wie lange nicht. Es geht rauf und runter. Wind und See kommen vorderlich. Drei Meter Wellen. Ein Brechkurs. Diesmal ohne mich. Selbst tief im Bauch des Schiffes ist für mich die Motortrawlerwelt in Ordnung. Jedoch: Nach 48 Tagen Motoryacht werde ich das Flußbett nicht wechseln. Segeln ist segeln.


STARSHIP, Technische Daten (Auswahl)

Das Schiff ist eine speziell für diese Medien- und Entdeckungsreise um die Erde konstruiert und gebaute Motoryacht. Sie kann wochenlang autark auf dem Meer kreuzen. Ihr Fahrtradius beträgt 3500 Seemeilen – mit gefüllten Zusatztanks. Modernste Antriebs-, Navigations- und vor allem Kommunikationstechnik ist an Bord installiert. Alles an Bord wird durch Computer gesteuert. 22 Kilometer Kabel vernetzen die Elektronik. In allen Kabinen stehen PCs, sie sind über ein Bordnetz mit Microsoft-Software verbunden. Die Software ist dieselbe, wie sie beispielsweise in einem mittelgroßen Büro eingebaut wird – also Standard. Das besondere an dem ganzen Unternehmen: Dass Michael Poliza, von Beruf Computerfachmann, sein Geld investiert um vielen Leuten die Welt zu zeigen, sei es direkt an Bord oder das nächst Beste, nämlich über Inernet dabei zu sein. Bewundernswert die erstklassigen Sponsoren, die er sich an Bord geholt hat, um sich den Traum einer Erdumrundung zu erfüllen. – Start war in Seattle, 17. Sept 98. Ziel ist Hamburg am 17. Aug. 2001.

Schiffslänge: ü. a. 22,80 m

Breite: 5,60 m

Tiefgang: 2,00 m

Ballast: 3,5 Tonnen Blei, mittschiffs einlaminiert

Verdrängung: 96 Tonnen

Motor: Ein MAN 420 PS V8

Geschwindigkeit: 9,5 Knoten

Werft: Northern Marine Inc., Anacortes WA, USA

Design: Stuart Archer

Bootstyp: LRC (Long Range Cruiser)

Kosten: rund 6 Millionen Mark

Laufende Reisekosten: 2000 Mark/Tag, alles inbegriffen

Bauzeit: 9 Monate, anstatt normalerweise 14

Baujahr: 1997/98,

Unterwasserform: Rundspant

Baumaterial: Fiberglas

Bauweise: Schiffsboden 13 Lagen Glas vinyl ester resin a 32 oz. gleich 3,6 Zentimeter stark. Grundsätzlich: Unterwasser Vollaminat. Überwasser Sandwich (Westcore foam-filled phenolic honeycom cores). Bulb im Bug ist hohl und als Hälfte mit dem Rumpf laminiert. Die Bombe bringt 5 bis 10 Prozent, da richtig designed.

Zertifikat: ABS (American Bureau of Shipping). (STARSHIP hat die doppelte Glasfiberstruktur als von der ABS gefordert).

Tanks: 4 Fiberglastanks für insgesamt 12800 Liter Diesel. In Reserve zwei Vetus Gummitanks a 1000 Liter. (Sehr zu empfehlen). 2 Fiberglastanks für 3600 Liter Frischwasser.

Ankergeschirr: 2 Pflugschar, je 150 Meter Kette, 13 mm.

Navigation: 2 Radarsysteme, 4 feste GPS-Systeme, 5 GPS Handgeräte, Datenspeicher mit 4500 digitalisierten Seekarten und 15-Zoll-LCD-Monitor, 2 Nachtsichtgläser, Echolote, Windmessgeräte, Meteosat undsofort.

Sicherheit: 4 EPIRBs, 2 Rettungsinseln, 2 Schlauchboote.

Leckerbissen: Das knapp 6 Meter lange Hartschalen-Schlauchboot von Zodiac (Modell Hurricane). Bestückt mit: 2 x 75-PS-Viertakt-Motoren, Radar, Sprechfunk, GPS, Echolot, Speedometer, Frischwassertank und Dusche, Ankergeschirr, Notausrüstung. Das Beiboot erregt oft mehr Aufsehen als das Mutterschiff.

Kommunikation: Satellitensysteme Inmarsat Mini M, Inmarsat B High Speed Data. So kann nicht nur jederzeit telefoniert und gefaxt, sondern ebenfalls im Internet gesurft werden. Vor allem dient das Netz der aktuellen Website des Projekts (www.starship.stern.de.). Digitale Bilder (Olympus) sowie Videofilme, aufgenommen mit Camcordern (Sony), mit denen die Reise dokumentiert wird, können laufend übermittelt werden – ein Videoschnittplatz fehlt ebenso wenig wie ein PC zur Fotobearbeitung.

Unterhaltung: Im Salon – unübersehbar – ein 16:9-Fernseher. Darunter ein Rack voller Unterhaltunselektronik: VHS-Recorder, DVD-Player, CD-Wechsler ... Zudem gibt es an Bord diverse mobile Geräte wie DVD-, MD- und Kasetten-Walkman. Ein DVD-Videowalkman ist so klein, daß man damit ungestört unter der Bettdecke Filme gucken kann. In Regalen an die 300 Videofilme und über 400 Bücher, davon zahlreiche Sachbücher zu Themen der Reise: Geschichte, Natur, Tiere, Tauchen, Reiseführer, Seehandbücher.

Kombüse: Herd mit 4 Flammen und Topgrill und Backofen (220 V). Alle anderen Geräte in der Kombüse werden mit 110 V betrieben. Da sind 2 x Microwelle, Geschirrspüler, 2 Kühlschränke, 2 Tiefkühlräume, Doppelspüle mit Müllzerkleinerer, Müllpresser, Brotbackmaschine, Gemüsehexler, Kaffeemaschine, Eiswürfelmaschine.

Energie: 2 Stromgeneratoren (Northern Light) erzeugen Wechselspannungen mit 110 und 220 V. Der Hauptgenerator kann bei Motordefekt auch als Notantrieb genutzt werden. Er bringt das Schiff langsam voran und hält es vor allem manövrierfähig. Die Schiffsbatterie, der Inventer, liefert auch bei abgeschalteten Generatoren für längere Zeit Strom.

Sonstiges: 2 Entsalzungsanlagen. Bug- und Heckstrahlruder. Rollstabilisatoren. Ein Tauch-Kompressor mit Speichertanks. Ein hydraulischer Kran auf dem Oberdeck, um die Beiboote zu wassern und an Bord zu holen. Waschmaschine und Trockner.

Schiffseigner: Michael Poliza (41) aus Hamburg. Was Wunder, das er seine Motoryacht perfekt vernetzte. Mit 19 besaß er schon seine erste Firma in Computerfragen. Mit 29 seine ersten Millionen, als er die Firma verkaufte. Später gründete er mehrere Firmen in der Computerbranche, die er immer wieder erfolgreich veräusserte. Als er mit einem gecharterten Kajütkreuzer eine Nachtfahrt machte, kam ihm der Gedanke zur Erdumrundung per Motorboot. Als der STERN von seinen Plänen erfuhr, schlug man ihm vor, das Schiff aufzurüsten und gemeinsam diese Reise ins nächste Jahrtausend zu machen.


Hauptsponsor: STERN Magazin, Hamburg













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Segelzeit
296 Seiten, 90 Farbfotos, 14 Karten und Skizzen, gebunden mit Schutzumschlag
Delius Klasing Verlag  |  EUR 22,90
ISBN 3-76881852-7

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