Warum wir immer weitersegelnLeseprobe »Kurs Gotland«
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Kurs Gotland

Ungemein früh schlängeln wir uns durch Schären und Felsen, einzelne Felsbrocken liegen zusätzlich unter Wasser im Weg. Gischt zischt an den Steinen hoch, wo kommt die Bewegung nur her? Worte fliegen über Deck: »Hart Steuerbord. Nicht so dicht. Steuerbord dichter, dichter. Mehr Gas ... dort, wo die Vögel auffliegen, müssen wir rum auf die offene See.« Die Durchfahrten sind kaum 50 Meter breit. Wir passieren Felsbuckel so nah, dass man rüberspucken könnte. Sie glänzen moosbewachsen im Morgenlicht. Ich bin ziemlich zappelig.

Im Logbuch steht:

05 h: Anker Hand über Hand leicht ein. Als ich ihn aus dem Grund habe, gebe ich A. ein Zeichen, Arm hoch heißt Anker frei. Abfahrt. Kein Wind. Keine Welle. Beste Sicht. Maschine bringt uns auf See. Kurs 90 Grad. Luft holen. Durchatmen. Alles ist gut gegangen.

Auf See Richtung Gotland hingegen haben wir zum ersten Mal seit langer, langer Zeit einen definitiv freien Seeraum vor uns: phänomenale 60 Seemeilen. Keine Tonne, kein Felsen, kein Sandhügel. Nichts. Und sogar Wind. Groß und Genua ziehen uns bei Nordost zu Ost hübsch übers Meer. Die Schoten sind dichtgeknallt, und bei fünf Knoten Fahrt haben wir zum ersten Mal keine Winddrehung. Folglich ist keine anderweitige Änderung notwendig. Die Selbststeueranlage hält Kurs. Nur einer geht Wache, liegt im Cockpit quer und hält Ausschau. Wie gut, dass ich beim Bau der Kathena nui ein ausreichend breites Brückendeck habe bauen lassen. Ideal in der Wache. Wir fühlen uns rundum wohl mit Kathena. Ihren Bewegungen. Dem Speed. Den Segeleigenschaften. Vor allem: kein Wasser in der Bilge – nie. Ich liebe das Schiff. Mein Schiff. Eigentlich unser Schiff. Ich stehe auf Deck, breite die Arme aus und rufe laut: »Frei.« Ich glaube, sich zu seinen schwächeren Phasen bekennen zu können macht Mut. Es geht darum, wie man seine Wunden mit Haltung trägt.

Lange habe ich mich nicht so gut auf dem Wasser gefühlt. Frühstück wäre jetzt willkommen. Ich bringe den Petroleumkocher auf Druck, lausche völlig entspannt dem Zischen der Flamme, brühe uns einen Kaffee, obwohl nur ich ihn trinke, und denke mit Blick in den hochwandigen Becher: Segeln ist schön. Wasser. Luft. Licht. Allein sein, obschon wir zu zweit sind. Ausnahmslos Gutes, klasse. Es müsste nur immer alles gelingen. Nicht perfekt, sondern einfach glücken. Habe schon manches Mal gezweifelt, ob wir weitersegeln sollen.

11:20 h. Noch 35 Meilen to go. Wind steht fest. Am Horizont sind Berge von Gotland sichtbar. Zu achten ist von nun an auf andere Segler, denn die Schweden starten vermehrt Richtung Gotland. In Massen, sagte man uns. Ich erinnere mich: Ein Drittel aller Schweden hat ein Boot. Das wären drei Millionen. Gott sei Dank nicht alle seegängig.

Bei null Wind kurz vorm Ziel stoppen wir und gehen schwimmen. Ich lasse Astrid ihre Freude. Sie rollt bäuchlings übers Dingi ins inzwischen 20 °C warme Meer. Ein großer Spaß. Heute hatte sie mit Seekrankheit nichts zu tun. Ich kann mich nicht erinnern, wann es auf See einmal so war.

Der Hafen Lickershamn an der Westküste von Gotland bietet direkt von Deck aus herrliche Aussichten auf zwei Fischerboote und auf die Rauk »Jungfrun«, eine sehr eindrucksvolle sieben Meter hohe Kalksteinsäule. Sehr markant (23 Meter über dem Meer). Sie war als Erstes deutlich zu erkennen. Auf Gotland und Fårö gibt es die spektakulärsten Raukar der Ostsee. Diese hohen Säulen aus 300 und 400 Millionen Jahre altem Korallenkalk ähneln jenen Riffen, die heute noch an den Meeresküsten der Südsee zu finden sind.

Im Hafen liegen wir vor Heckbojen am Kai mit acht schwedischen Yachten und mal keinem deutschen Gästeboot. »Gotland ist ihnen wohl zu weit?«, scherzt Astrid.

Rundum viel Wald – wie ich es mir erhofft hatte. Im Scheitel ein paar typische schwedische Holzhäuser mit spitzen Giebeln und in Ochsenblutfarben, also falunrot, gestrichen. Dann ein Restaurant, eine viel frequentierte Fischräucherei und ein Novum: Das Sanitärhaus hat eine Doppeldusche. Eine mit Fichtenholz verkleidete Kabine mit zwei Duschköpfen und einer Duschtechnik vom Feinsten. »Die muss man täglich zweimal nutzen«, sagt Astrid beim Rundgang.

Wir gönnen uns Kaffee und Cola in der Hafengaststätte, worauf die Kellnerin sich zu uns setzt und sagt: »Die Deutschen sind raus.« Damit meint sie die Fußballer bei der Weltmeisterschaft in Russland. »Ach, das ist schön«, sagt der Einhandsegler, »keine Suche mehr erforderlich nach einer Kneipe mit Fernseher.« Lickershamn ist für mich ein Idyll. Ich liebe alles ordentlich Unordentliche. Das klare Wasser. Die vergammelte Slipanlage. Umgestülpte Bötchen am Ufer. Die schwedischen Zäune ringsum.

»Mit Lickershamn haben wir es gut getroffen«, sage ich zu Astrid, die schon wieder aufbrechen will. »Weißt du noch, als wir 2004 hier waren und vor Cola und Bier saßen, und erinnerst du dich an den Augenblick, als ich mit den sechs Mitseglern auf 100 Jahre ›Yacht‹ anstoßen wollte und keiner zum Glas griff.« Uns hielt damals ein leichter Sturm drei Tage im Hafen fest. Der eine oder andere wurde unruhig, und das drückte auf die Stimmung. Nur für Mitseglerin Susanne waren diese drei eingewehten Tage ein Vergnügen. Genau genommen eine Fundgrube. Stundenlang sammelte sie am Strand Steine mit Einschlüssen wie Insekten, Schnecken oder Pflanzenteilen.

Auch mir muss ich die damalige schlechte Stimmung ein wenig zuschreiben. Zu oft bewegte ich mich mit eingefrorenem Gesicht an Deck. Irgendwas machte mich nervös: das Schiff, die Technik, die Crew. Terminsegeln insgesamt. Alles zusammen fand ich belastend – ohne genau zu wissen, was speziell. Es lag auch an meinem miesen Schlaf auf dem Rundsofa im Salon. Dazu war nach wenigen Tagen auf dem luxu­riösen Charterboot die Gasflasche leer und kein Ersatz vorhanden. Was uns ferner fehlte, war ab und an mal ein »Hand-ins-Wasser-halten-Tag«, bei dem Segeln so behutsam ist, dass es sich auf die Psyche positiv auswirkt. Bisher gab es nur volle Pulle voran.

Etwas Besonderes: Ein paar Schritte entfernt gibt es eine Boutique mit höchstens drei Quadratmeter Fläche. Ich stelle mir vor, wenn ein Kunde drin ist, bleibt für den zweiten nur Platz vor der Tür. Auch draußen sind ein paar Sommerkleider dekoriert, die locker 1000 Kronen übersteigen. Für meine Frau ist nichts dabei. Sie will ohnehin mit dem Kauf warten, bis sie mehr abgespeckt hat. Unnötigerweise, wie ich finde.

Abends setzen wir uns nochmals ins Restaurant zum Essen. Die Gedecke sind wie mit einem Millimetermaß ausgerichtet, die Servietten sorgfältig gefaltet. Der Tisch steht mit Blick auf die Boote am Kai und auf ihm bald Gläser mit Bier und ein guter Roter. Als Appetizer gibt es frisches Brot mit Butter. Das Steak ist zwar teuer, aber es schmeckt exzellent. Speziell die Kartoffeln und der trockene Broccoli, einfach köstlich. Tack för den underbara maten (Danke für das wundervolle Essen). Den Espresso nehmen wir an der Bar. Wie gesagt, der Geschmack des Gemüses ist in Schweden von bester Qualität. Egal, wo man es kauft, ob bio oder konventionell. Und es ist kaum in Plastik verpackt. Alles in Skandinavien geerntet?

Halte am 27. Juni fest:

Jungfrun – Zäune – Bojen – Kirschbaum mit Kirschen – Hafen fotografiert. Meine gute Nikon wird nicht mehr gebraucht. Die neue Digitaltechnik reißt mich nicht mehr mit. Kann auf dem Display in der Sonne nichts erkennen. Mir fehlt der Enthusiasmus. Grundsätzlich habe ich mich ausfotografiert auf meinen Nonstopfahrten. Wenn ich heute die alten Dias anschaue, frage ich mich ständig, wie ich das nur hingekriegt habe. Der Aufwand, den ich vor allem bei Sturm betrieben habe, stellt mich zufrieden. Auch das Resultat. Ich habe eine Handvoll erschreckender Sturmbilder mitgebracht, die aber nie in den Redaktionen zur Kenntnis genommen wurden. Es fehlt ein Mensch davor, hörte ich oftmals.

Leinen los. Segel hoch. An die Pinne. Um neun Uhr schiebt uns der Wind fein voran. Kurs Lauterhorn auf Fårö. Das Wetter hat letzte Nacht »umgeschlagen«. Von Flaute und blauem Himmel auf leichten Süd mit vereinzelt Wolken und – natürlich Sonne. Sonne satt seit der Abfahrt im Mai. Irgendwann muss es doch richtig umschlagen. Ich liege in Badehose im Cockpit und genieße das Segeln. Oberherrlich. Leicht und angenehm sind die Bewegungen. Aries hält mit wenigen Grad Abweichung zu jeder Seite Kurs – bei gut vier Knoten. Wir -erreichen Lauterhorn auf der Insel Fårö im Langliegen.










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Warum wir immer weitersegeln  |  Neu
232 Seiten, 82 Fotos, Faksimile und Karten, gebunden
Delius Klasing Verlag  |  EUR 19,90
ISBN 978-3-667-11703-8

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