Nordsee-BlickeLeseprobe »Fair Isle«
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Fair Isle

Es gibt Eilande von magischer Anziehungskraft. Fair Isle, 50 Seemeilen entfernt im hohen Norden, wo Atlantik und Nordsee aufeinanderprallen, ist so eine Insel. Ein Felsklotz, sturmumtost, zerfetzte Klippen, samtgrün bezogen, einsam und klein, so daß er sich als Insel empfinden läßt. Auf der Nordseekarte nur ein Krümel zwischen Shetland und den Orkney Inseln. Drei mal eineinhalb Seemeilen klein. Rund 70 Bewohner. Hunderttausend Seevögel. Das ist die Faszination.

Zum Greifen nah war sie mir, als ich 1985 mit KATHENA NUI unmittelbar daran vorbeisegelte. Aber ich war auf Nonstopfahrt. Einige Jahre später fuhr ich etwas weiter südlich vorbei. Während meiner Seefahrtszeit habe ich Fair Isle mehrfach vom Deck eines Frachters aus gesehen. Diesmal, auf unserer Nordseeumrundung, soll es endlich passieren: Im winzigen Nordhafen möchte ich festmachen und die Insel mit unserer Persönlichkeit füllen.

Wir nähern uns Fair Isle von Pierowall in den Orkneys. Also vom Westen her. Doch zunächst müssen wir abwarten. Ein zerrissener grauer Himmel wirft Wind und Gischt aus Ost über die Bucht. Dazu das Wetter aus dem Radio: In diesen Augusttagen eine nie versiegende Quelle für Starkwindmeldungen. Die Natur herrscht mit übelster Laune innerhalb der Wetterscheide Nördlichste Nordsee. Folglich werfen wir einen zweiten Anker in der nach Osten hin relativ offenen Bucht von Pierowall auf der Insel Westray und wandern über die flache Insel, eingepackt in Ölzeug, wie schon so häufig auf unserem Törn. Was sehen wir: Schafe, Schafzäune, den Leuchtturm Noup Head, Noltland Castle, eine Festungsburg mit 69 Schießscharten, ein Alles-Geschäft, Friedhof samt Kirchenruine aus dem 13. Jahrhundert, einige Fischer und hinterm Hafen eine Böschung mit einer unwahrscheinlichen Schrottfülle. Kym, der alles sammelt, packt gleich eine Tasche voll: kleine Motoren, Kugellager, Ritzel. Er macht sich Gedanken, warum die Grabsteine alle in Richtung des Meeres aufgestellt sind.

Sonnengrelles Licht durchbricht endlich eines Morgens das dunkle Gewölk. Überzieht die Bucht mit leicht kräuselnden Wellen. Laut Wettervorhersage von BBC 4 ist zwar immer noch ordentlich Wind aus Südost bis Süd, aber wir wollen es wagen. Sind ja nur 50 Seemeilen. Kurs Ost. Wir durchqueren die nordöstlichen Orkneys mit voller Beseglung und leichter Lage. Das bedeutet bei der "Dehler 33" Windstärke 2 bis 3. Runden mit einer Reffreihe im Groß, gleich Wind 4, den Leuchturm von Ronaldsay. Schreckliche, aber nicht gefährliche Stromwirbel begleiten uns. Es werden enorme Wassermassen in diesem Dreieck Orkney, Shetland, Fair Isle hin- und her- geschoben. 4 bis 5 Knoten Strom sind die Regel.

Auf halber Distanz zu Fair Isle kentert die Strömung. Und leider auch das Wetter. KATHENA ist eine Konstruktion, die schnelle Reffs verträgt, ohne Fahrt zu verlieren. Doch es kommt wie vermutet: Die restlichen 15 Meilen weht Wind direkt von vorn, Wind von Steuerbord, Wind von Backbord. Alle Augenblicke stehen Manöver an. Von überall peitscht Graupel. Das Weiße der Gischt landet im Cockpit. Die knapp 200 Meter hohe Insel ist schon lange im Grau des Horizonts verschwunden. Ein zuckender Himmel wirft Schauerschleier über ein sich rasch aufwühlendes Meer. Stürmischer Wind kommt in Böen auf. Der Meeresstrom versetzt uns nach Nord. Wir ändern den Kurs. Irrwege übers Meer finden ja heute nicht mehr statt. Dank GPS. Eigentlich schade. Und wir drei fragen uns im Cockpit hockend: Wie hat man das bloß im GPS-losen Zeitalter geschafft, die avisierten Ziele zu erreichen? Fair Isle liegt weiterhin im Regennebel. Selbst drei Meilen davor ist die Insel am Horizont nicht auszumachen. Sorge bereitet mir die Frage, ob der Hafen bei diesem Wetter ausreichend geschützt ist. Es handelt sich nur um einen 100 Meter tiefen Einschnitt an der Ostküste. Mehr eine Hafenbucht.

Tagebuch Kym:

Kurz vor Fair Isle, dessen "Hafen", von dem W. nur eine Handskizze hat, auf der windzugewandten Seite liegt, kommen Bedenken auf. Bei hohem Seegang in einen engen Hafen und überall Steine. Mich regt das etwas auf. Ich meine, ich habe nicht vor, das Boot in Schwierigkeiten zu bringen, aber ich würde erst unmittelbar vor der vermeintlichen Gefahr entscheiden. W. und A. aber machen sich lange vorher immer schon so viele Gedanken, daß sie in der Situation viel eher zum Kapitulieren neigen. Das liegt am Alter, wie mir scheint, und greift auch auf andere Bereiche über.

Was uns im Cockpit hält, ist das harte Einsetzen des flach geschnittenen Bugs. Es knallt derart, das kein Mensch es in der Kajüte aushält. Die Mastspitze kreist bei jeder Gegenwelle schwungvoll. Im Rohr schlagen wie gehabt Kabel und Fallen rhythmisch wie beim Rostklopfen. Segeln in strömungsstarken Tidengewässern in Verbindung mit wechselnden Winden ist eine seltsame, zumindest strapaziöse Sache.

Noch eine Meile vor der Insel steuern wir durch eine kurze steile See. Genauer: durch eine chaotische See, weil die Strömung stärker setzt. Glücklicherweise fegt ein steifer bis stürmischer Wind vom Küstenrand, der uns wenigstens nicht so furchtbar schaukeln läßt.

Nördlich der Insel, nur wenige Kabellängen vor der Steilküste: Brandungsgeräusche, ein Nebelhornsignal, Möwen, Baßtölpel. Kym greift zur Kamera, um die beeindruckenden, großen Vögel im Bild festzuhalten. Er flucht, weil`s nicht gelingt. Unter Maschine tasten wir uns in die Hafenbucht. Urplötzlich reißt der Grauschleier auf, und wir haben das Gefühl, es ist die falsche Ansteuerung, denn es sieht alles so unübersichtlich aus. Überall sind Steine, Klippen, Felsvorsprünge, an denen die Gischt weiß abspringt. Gedanke: Wie kann an dieser Küste bloß ein Hafen Schutz bieten? Unverdrossen loten wir uns in einen schmalen Sund, bis die Peilung 199 Grad steht: Steinbake auf dem Felsen in der Einfahrt mit dem Gipfel von Sheep Rock, einer markanten Bergspitze. Der Schwell nimmt ab, und ich stelle fest, daß meine Skizze veraltet ist, denn die neue Mole ist noch gar nicht drauf.

Angespannt genießen wir die Stille und ja, ja, die Geborgenheit. Endlich Fair Isle. Mir merkt man die Freude am meisten an. Zu allen Seiten richtige Berge. Kein Wind. Keine Welle. Nicht eine Andeutung von Schwell. Vor uns, im Scheitel der Bucht, liegt ein herrlicher weißer Sandstrand. Rechts daneben ein düsteres Steinhaus. Links vom Sand eine perfekte Kaianlage mit drei bis vier Metern Wassertiefe längsseits. Wir machen genau gegenüber einer großen blauen Tafel fest, auf der mit weißer Schrift ge-schrieben steht: Dieser Hafen wurde zum Teil mit Mitteln der EU gebaut. In solchen Augenblicken freut man sich, daß es die Europäische Union gibt.

Kein Mensch ist zu sehen. Vor uns vertäut liegt nur das Inselfährschiff GOOD SHEPHERD IV. Emphatische Schwelgerei bei uns an Bord. Mit einer Dose Bier in der Hand betrachten wir die Szenerie: aufragende Felswände fast ringsum. Gegenüber zwei Höhleneingänge und auf einer Felsplatte ein Robbenpaar. Der Hafen hat einen Durchmesser von hundert Metern und ist durch den Wellenbrecher geschützt. Nach einer nassen und gräßlichen Überfahrt ist doch immer noch der sichere ruhige Liegeplatz das Schönste. Zwei Mädchen kommen zum Kai. Köchin der Vogelwarte die eine, Amateur-Ornithologin die andere. Sie laden uns in die Station der Vogelkundler zum abendlichen Tee ein. Freilich, zunächst beschreiben sie uns aber überaus gerne ihr Tun.

Das Haus der Vogelkundler ist nicht weit entfernt, am Hang in einem grauen Komplex. Dort kann man gegen Entgelt essen, duschen und auch schlafen. Es werden Zimmer oder Betten im Schlafsaal vermietet. Jeden Abend findet unter Leitung des "Warden" (Aufsehers) ein Tagesresümee statt. Es wird über seltene Vogelexemplare und ihre Anzahl berichtet und vor allem, alles wird ins tägliche sogenannte Vogel-Logbuch eingetragen. Die Hauptaufgabe der Vogelkundler besteht in der Überwachung der Seevögel zur Brutzeit und in der Beobachtung der Zugvögel. Einige Aufregung verursachten kürzlich Eiderenten, die friedlich im Hafen schwammen. Ich flachse: "Wir sind über die Eider in die Nordsee gelangt." Ziemlich blöd. "Mit der Eider haben Eiderenten nun wirklich nichts zu tun, denn sie leben vorwiegend auf dem Meer, auf Island, Shetland", stellt Jane, die Köchin, klar.

Am nächsten Morgen sind wir im Gebäude der Vogelwarte auf der Suche nach Informationen. Fair Isle ist Treffpunkt für tausende von Zugvögeln. Über 300 Arten hat man bisher gezählt. Im Frühsommer, während der Brutzeit und im Herbst, wenn seltene Vogelarten durchziehen, ist das Haus mit seinen 36 Gästebetten belegt. Doch es gibt noch eine weitere Übernachtungsmöglichkeit: Familie Stout im Dorf. 78 Bewohner zählt derzeit die karge Insel. Zwei Kirchen. Drei Religionsgemeinschaften. Dazu Schafe und Kühe. Den Strom für die Vogelkundler liefert ein Generator. Für die Einheimischen eine alte Windmühle. Nicht zu verwechseln mit unseren hochaufragenden und lauten Windrädern. Als "Nabelschnur" zur Welt verkehrt das im Hafen liegende blauweiße Inselschiff GOOD SHEPHERD wöchentlich mehrmals zu den Shetlands, um Post, Nahrung und Baumaterialien zu transportieren. Im Sommer verkehrt das Schiff jeden zweiten oder dritten Tag. Astrid fragt interessiert, ob die Insel häufig von Segelyachten besucht wird: Selten sind mehr als zwei im Hafen, heißt es.

Dieses winzige Eiland wird durch eine verwitterte Legesteinmauer säuberlich in zwei Hälften geteilt. Fast scheint die Insel aus einem hügligen Stück Shetland und einer flachen Scheibe Orkney zusammengesetzt zu sein. Nördlich der Mauer liegt der Hafen, die Wissenschaftler mit ihrer Station, das gesamte Weideland für die Schafe und der höchste Berg Ward Hill (217 Meter). Im Südteil, wo das Land flach zum Meer abfällt, wird geackert: Kartoffeln, Hafer, Gemüse. Zwischen den Feldern ducken sich verstreut die zwei Dutzend Häuser der Inselbewohner.

Spaziergang über eine geteerte EU-Straße zur Nordküste. 80 Meter über dem Meer an einem Steilhang erhebt sich der Leuchtturm Skroo mit dem wohl gewaltigsten Nebelhorn. Im kraftvollen Spiel der Elemente hat das Meer tiefe Höhlen aus dem Sockel gefressen. Im rissigen Fels atemraubende Schluchten und bizarre Steinbrücken geformt. Einzigartig. Überwältigt vom Anblick, vergessen wir, unser Picknick auszupacken. Zwischen den Schluchten viele Robben, die sich auf vereinzelten Felsen ausruhen. Und abertausende Vögel: Sturmvögel, Baßtölpel, Papageitaucher, arktische Seeschwalben, viele Arten Möwen. Auf jedem Vorsprung der schroffen Steilküste und in jedem Erdloch über den Klippen befinden sich Nester mit Jungvögeln, oder sie sind bereits leer. Es ist August.

Tagebuch Astrid:

Auf einer Felsnase an der Nordwestküste finden wir endlich Schutz vor dem steten Wind. Hinter einem krautigen Beerenstrauch packe ich unsere mitgenommen Brote aus und beschwere den Rucksack mit einem Stein, damit er nicht wegfliegt. Halb im Liegen, dicht an der Abbruchkante, bewundere ich die Eissturmvögel oder englisch Northern Fulmar, wie sie im Aufwind bewegungslos stehen. Sie bewohnen am Vogelfelsen den höchsten Nistplatz. Der Eissturmvogel ähnelt einer Silbermöwe, ist jedoch aus nächster Nähe an seinem dicken Hals und seinem Hakenschnabel zu erkennen. Typisch seine starre Flügelhaltung, wenn er abwärts oder aufwärts fliegt. Wie Fallschirmspringer landen links von uns die putzigen Papageitaucher auf ihren orangenen Schwimmfüßen und wandern aufgeplustert vor ihren Erdlöchern herum. Es sind drollige Gesellen mit bunten Dreieckschnäbeln. Der eigenwillig gestaltete Schnabel des Papageitauchers verleiht seinem Profil den unverwechselbaren Umriß. Kein anderer Alk trägt ein ähnlich farbiges Horngebilde mit Querwülsten. Man vermutet (in der Station), daß der sonderbare Schnabel ein optischer Auslöser bei der Balz ist. Ich bin nicht loszureißen von den Puffins. Der englische Name gefällt mir irgendwie besser. Mit Hilfe des Schnabels legt er ganze Systeme unterirdischer Gänge an. Nur, wo-für?

Einige "Stockwerke" tiefer, in dunklen Felsspalten, hat der schwarzweiß gefiederte Tordalk sein Nest. Überhaupt, auf der Klippe ist in der gesamten Breite allerhand los. Die akustische Kulisse: Gezänk und Gezeter, dazu Bettelrufe der Jungvögel, Wind, Brandung.

Richtigen Windschutz gibt es auf dieser kahlen Insel nicht. Kein Baum wird geduldet, höchstens Heidegestrüpp, Wacholder und mit Gras bewachsene Wälle. Dafür ist das Gelände ideal, um ausgiebig zu wandern.

Auf dem Südteil der Insel, zu erreichen über eine saubere Straße, können wir uns ein Bild machen, wovon die Bewohner leben. Mary ist Krankenschwester. Ein anderer führt den Lebensmittelladen und die Poststelle. John Stevenson betreut beide Leuchttürme – noch muß man sagen, denn sie stehen kurz vor der Automatisierung. Ein weiterer Bewohner fährt ein wenig Taxi für die Gast-Vogelkundler. Kirchen, Friedhof und Heimatmuseum müssen in Ordnung gehalten werden. In der Schule muß Unterricht stattfinden. Und es wird gestrickt. Bekannt ist Fair Isle für seine Strickmuster. Die jahrhundertalte Tradidion wird heute mit Handstrickrahmen von einer Kooperative fortgeführt. Die mehr als hundert herrlichen Muster in Blau-, Rot- und Grautönen oder in den Naturfarben der schwarzen und hellen Shetlandschafe sehen wir nur auf Postkarten. Man ist ausverkauft.

Fischer auf Fair Isle? Hauptberufliche gibt`s keine.

Kym:

Beim Leuchturm pausieren wir, und prompt kommt der Wärter um die Ecke und redet los, als ob wir ihn schon wochenlang kennen. John Stevenson zeigt uns sofort den Turm von innen und das Feuer, das sonst nicht für die Öffentlichkeit zugängig ist. Macht auch das Licht an (Kennung: Gruppe 2, alle 30 Sek.) und erzählt amüsiert, daß die in Edinburgh jetzt auf ihrer Kontrolltafel sehen: Der Leuchtturm Skroo ist an! Also nicht so lange, sagt er, sonst rufen die an und wollen wissen, was los ist. Momentan wird an den Turmanlagen allerhand Technik installiert, da später alles automatisch ablaufen soll. Fünf Jahre vor diesem Automatisierungstermin wurde den Leuchtturmwärtern gesagt: Ihr baut euch besser ein eigenes Haus! Bis jetzt wohnen sie in Nebengebäuden der Anlage. Ob die Automatisierung sinnvoll ist, bezweifelt Mr. Stevenson. "Alle naselang treten Störungen an der Technik auf, die in die Zentrale nach Edinburgh signalisiert werden. Es muß dann ein Hubschrauber geschickt werden. Das wird viel teurer." Das sind Erfahrungen mit anderen lichtstarken Türmen. – Auf dem Weg zurück zum Boot, vorbei an vielen Steinmauern und wenigen Häusern kaufen wir im Store ein. Erstaunlich reichhaltig das Angebot und der Gipfel: sechs Sorten Kettle Chips in 50-Gramm-Tüten. Die Engländer haben die besten Chips der Welt. Seltsam, der Schafskäse kommt aus Griechenland, dabei gibt es hier keinen Hang ohne diese Wollbündel.

Das Wetter ändert sich schnell auf Fair Isle. Morgens Nebel. Nachmittags Regen. Gegen Abend Sonne. Von unserem fabelhaften Alleinliegeplatz haben wir das Wetterzeichen Sheep Rock (132 Meter) stets im Blick. Dieser mächtige, oben abgeflachte Fels mit steil abfallenden Klippen sieht aus wie der Riesenbug eines versinkenden Schiffes und bietet ein immerwährendes dramatisches Schauspiel. Jedes Wetter versetzt ihn nämlich in eine andere Stimmung. Bei Sonne leuchtet sein breiter, grasbewachsener Rücken in einem wundervollen, durchsichtigen Grün. Sturm verwandelt ihn in eine dunkle Gestalt, gegen die sich das Meer aufbäumt. Wenn der Nebel lautlos heranrollt, hüllt er sich mysteriös in ein weiches, weißes Gewand, aus dem nur die Spitze herausragt. Sheep Rock ist bei jedem Wetter eine gute Ansteuerungshilfe. Leider eignet sich der feine Badestrand im Hafen nicht zum Schwimmen: Wassertemperatur 14 Grad.

Daran ist nicht zu rütteln. Fair Isle ist kein Ort für Sonnenfreaks. Hier ein Auswahl Wetterdaten: meßbare Regenfälle an 216 bis 266 Tagen jedes Jahr. Höchste Luftfeuchtigkeit in Britannien. Die höchste Lufttemperatur 20,2 Grad Celsius im August 1975. Windigste Ecke des britischen Inselreiches mit einem Durchschnitt von 57,8 Sturmtagen jährlich. Das stürmischste Jahr war 1979 mit 112 Sturmtagen.

Mit dem rissigen Gestein hat die Brandung leichtes Spiel bei der Bildung von Tempelbögen und Höhlen. Mit unserem Dingi rudert Kym wohl in ein Dutzend Höhlen hinein. Anfangs in die weniger tiefen – 20, 30 Meter. Oft bei Niedrigwasser und meistens will er mich dabei haben. Es ist doch etwas gruselig. Oben die kalten, scharfkantigen Wände, unten das glasklare, kalte Wasser. Doch als der Höhlenverrückte mich in einen 70 Meter tiefen Schlund hineinlotst, wird es auch mir mulmig. Ein Ausgang ist nicht mehr zu erkennen. Am äußersten Ende liegen mehrere Seehunde auf Steinen. Ohne Taschenlampe würde man sie nicht sehen, es ist stockdunkel. Wir beenden unsere Exkursion erst, als ein Seelöwe im tiefsten Inneren neben unserem Gummiboot auftaucht und uns fürchterlich erschreckt.

Drei Tage Fair Isle sind eigentlich zu wenig. Aber auch wir, die Zeit als Luxus im Gepäck haben, sind an Zeiten gebunden. Mit einem passablen BBC Wetterbericht brechen wir auf. Und werden wiedermal mächtig enttäuscht. Nordöstlich von Fair Isle, auf dem Weg nach Lerwick, erwischt es uns schlimm. Kriechend auf dem Vordeck schlage ich die Stagreiter der Sturmfock ans Vorstag. Die sich überschlagenden Wellen geben mir nochmals das Höhlengefühl. Nur mit diesem Tuch und den paar Quadratmetern Groß - dritte Reffreihe – rasen wir beständig zweistellig über die Seen. Den Shetlands entgegen. Zu neuen Vogelufern.

Wind und salzhaltige Luft

Feuer und Eis haben die Shetland Inseln, diesen kahlen, rauhschönen Archipel zwischen Atlantik und Nordsee geformt. Und dazu das Meer, das ruhelos über die sandigen Buchten leckt und in tausend Stürmen weißschäumend an den zerfetzten Steilküsten hinaufjagt, bis es ihnen wie auf Fair Isle Schluchten, Höhlen und steinerne Tore abgerungen hat. Dann wieder liegt es ruhig flimmernd in einem der vielen Fjorde oder Voes, die mit langen Fingern die Inseln umklammern. Ja, das Wetter. Es herrscht in übelster Weise um die Shetlands. Es ist unberechenbar. Und doch aufregend. Zwischen Fair Isle und Lerwick haben wir es erlebt. Das Wetter.

Der Lerwick Boating Club gibt sich gemütlich: an den Wänden Clubstander von nah und fern, Pokale im Schrank, Seekarten unter Glas auf den Tischplatten. Eine Stunde nachdem die Leinen fest sind, sitzen wir dort entspannt in braunem Leder. Greifen in die Chipstüte vor uns auf dem Tisch. Draußen, durch die Fensterfront zu sehen, brechen Sonnenstrahlen durch schwarze Wolkenballen. Dunkle Melancholie weicht brillantem Licht. Das hatten wir heute auch mehrfach auf See.

Astrid:

Wieder liegt Dunst über Fair Isle. Im Winter muß es hier grauenhaft sein. Ständig Regen, Nebel und Stürme ohne Ende. Logisch, daß es dann auch kalt ist. Wir verlassen die Insel um 9.30 Uhr. Vorher waren meine beiden Männer noch in der besonders tiefen Höhle. "Zum Abschied," sagte der höhlenverliebte Kym. Im Nachhinein betrachtet fahren wir etwas unvorbereitet aus dem kleinen Hafen (alle drei Nächte als einziges Boot). Das Fenderbrett liegt noch an Deck, die Fenster und Seeventile sind nicht kontrolliert, das Dingi im Schlepp. Die große Pfanne mit Curry steht auf dem Herd. Kym hat die Ölhose nicht an. Keiner eine Schwimmweste klar. Folglich geraten wir in trouble, denn der Wind ist wesentlich stärker als vorhergesagt. Dabei sind die Wellen wieder unangebracht hoch und steil. Eben Strom (West) gegen Wind und Seegang (Ost). All das zwei Kabellängen nach der Ausfahrt. Nach der ersten Welle über Deck sind Kym und ich erstmal naß. Er schimpft und zieht sich Ölzeug an. Abwechselnd steuern Kym und ich das Boot von Hand. Der Autopi-lot würde es nicht schaffen. Immer wieder werden wir von einer wühlenden See überschüttet. Das Wasser schießt über die Bänke. Ich friere trotz aller Kleidung. Zuviel Synthetik. Wilfried tat gut daran, unterm Ölzeug noch seinen groben Harris-Pullover zu tragen. Zeitweilig regnet es heftig. Wilfried reduziert kontinuierlich unsere Beseglung auf dreifaches Großsegelreff und Sturmfock – noch von der KATHENA NUI. "Toll, daß ich das rote Segel auch mal zu sehen kriege", freut sich Kym. Dennoch gibt es laute Worte unterwegs, da er sich von allen Entscheidungen ausgenommen fühlt. Keinen Augenblick sieht er Risiken. "Läuft doch gut." Während wir durch "the hole" segeln, so nennt das Seehandbuch diese Gegend, wo gewaltige Strömungen und schwere Stromkabblungen südöstlich von Sumburgh Head anzutreffen sind, rechnet der Student aus, daß er bereits 25 Tage an Bord ist. "Da wird es eigentlich Zeit, über den Weg nach Hause nachzudenken." Ein wilder Segeltag in jeder Hinsicht. Zwei Dinge stören sehr bei diesen querlaufenden Seen, nicht Wellen - Seen, die das Boot fast auf die Seite schmeißen: daß keine Haltegriffe im Cockpit sind, und daß das Alu der Pinne so kalt an den Händen ist. Gerade als wir den 60. Breitengrad überquert haben und darüber reden, trifft uns eine Bö, die sogar das Bergen der Sturmfock erfordert. Die Begrüßung des Nordens. Nach sechs Stunden erreichen wir Lerwick, total erschöpft, salzig, angespannt und durchgefroren. Im Hafen Finnen, Schweden und viele Norweger. Kym ist gleich munter: "Ist das Norwegen?" "Nein, das ist das Ende der Welt." Auf unserem Schiff ist plötzlich Van Morrison zu hören: "Why must I always explain?"

Lerwick, das Hauptstädtchen der hundert Eilande, liegt im Bressay Sound und hat Hafenbecken für Fischer, Plattformversorger und Kleinboote wie wir. Jetzt im Sommer ist der Hafen ein buntes Stelldichein für Segler und Touristen. In den Gassen der Altstadt, zwischen den grauen Häusern, hört man viel Skandinavisch. Die Shetländer fühlen sich zu den Norwegern hingezogen. Und um-gekehrt. Es findet ein reger Austausch in Sport und Kultur statt. Norwegische Segler nutzen dieses Ziel auch, um sich köstlich zu amüsieren. Die Crew neben uns meint: "Den Kurs nach Bergen brauchst du nicht auf der Seekarte abstecken. Folge nur den Bierdosen."

Absolut planungsfrei gestaltet sich der Hafentag. Der Wind, der ewige Wind heult auch an diesem Tag. Wie der Hafenmeister erzählt, beschränkte sich der Sommer in diesem Jahr auf den Sonntag vor einer Woche. Kym liest ein Buch aus meiner Sammlung: Brontë, "Sturmhöhe". Astrid macht Wäsche in den Kellerverliesen des Boating Club. Mich interessiert die Geschichte der Inseln.

Am Nachhaltigsten wurden die Shetlands vom Norden geprägt, der in Sprache, Kultur und geographischen Namen noch allgegenwärtig ist. Fast 700 Jahre, bis Ende des 15. Jahrhunderts, herrschten die Wikinger und andere Nordmänner über die Shetlands. Als Freunde, nicht als Plünderer. Die Schotten begannen erst mitzumischen als Christian, der König von Dänemark, Norwegen und Schweden im Jahr 1469 die Shetland Inseln an König James III von Schottland verpfändete, um seiner Tochter eine Mitgift geben zu können.

Die selbstbewußten Shetländer wehren sich gegen das Attribut "übers Meer geblasene Norweger", aber schon gar nicht wollen sie als Schotten gelten. Historisch und ethnologisch haben sie nichts mit Schottland zu tun. Heute leben 23000 Menschen auf den Inseln, in etwa die Anzahl wie zu Wikingerzeiten. Die größten Inseln sind Mainland, Yell, Unst.

Die Straße auf Mainland wirkt edel. Sie ist angenehm zu fahren und verbindet das Ölterminal im Norden der Insel mit dem Flughafen an der Südspitze. Sie führt ebenfalls zur prähistorischen Ausgrabungsstätte, einem einzigartigen Querschnitt der gesamten Siedlungsgeschichte der Shetlands.

Ja, auch die Shetlands haben ihren archäologischen Trümmerhaufen: Jarlshof, ganz im Süden von Mainland, der Hauptinsel. Dreitausend Jahre Menschheitsgeschichte liegen da an einem mythischen Ort zusammen – ein unerhörtes steinernes Labyrinth von ineinander verschachtelten Mauerresten ehemaliger Behausungen, runde und ovale, rechteckige und gewölbte. Unter der Erde kriecht man durch Grabkammern ähnelnde, niedrige Räume, die vielleicht zum Horten von Vorräten dienten. Darüber schichten sich Wohnräume samt Werkstattnischen aus der Bronzezeit, Rundhäuser mit Feuerstelle aus der Eisenzeit und ein Wikinger-Langhaus. Und als Krönung ein Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert. Kreisförmige Wehrtürme (Brochs) runden das Bild ab.

Und das Wetter? Bei Nieselregen ist mit den Steinhaufen nicht viel anzufangen. Außer bildlich. Mysteriös heben sich prähistorische Mauern aus grauen Dunstwänden.














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Nordsee-Blicke
288 Seiten, 60 Farbfotos, 39 Abbildungen und Karten, broschiert
Delius Klasing Verlag  |  EUR 12,90
ISBN 3-7688-1780-6

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