Ich greife den WindLeseprobe »Ankommen Helgoland«
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Ankommen Helgoland

Es war meine letzte Nacht auf der Nordsee. Voraus strich das Blinkfeuer von Helgoland übers Meer, im Rücken zeichnete sich ein endloser Horizont mit strahlenförmigen Streifen der untergegangenen Sonne ab. Vereinzelt weiße, lichte Wolken am Himmel. Mittendrin mein Segelboot Kathena und ich, umschwirrt von Seevögeln, die auf der Jagd waren – genauso wie ich. Was ungewöhnlich ist. Denn als Fahrtensegler ist man selten auf Jagd. Doch an dem besagten Tag war ich es. Ich wollte unbedingt am nächsten Tag in Helgoland einlaufen, meinen Traum Weltumseglung zu Ende bringen und in Blockbuchstaben ins Logbuch schreiben: Zu Ende. Das wäre der Hammer. Das Ende ist wichtig bei allen Dingen. Noch eine Nacht, und ich könnte die Arme hochreißen und genießen.

Vor Jahren schon wollte ich meinem Leben einen bleibenden Bruch geben und hatte es nun tatsächlich fast geschafft. Immer wenn ich von dem Vorhaben Weltumseglung erzählte, zweifelte man an mir – mal die Freundin, mal der echte Seemann.

Die letzten 25 Meilen werden wir auch noch schaffen, dachte ich. Mit kalter Aufmerksamkeit starrte ich in die dunkle Nacht. Alles lief bestens. Ich passierte Markierungstonnen, Fischkutter, einen Dampfer und sah schließlich im Morgengrauen als schwarzen Klumpen meinen Olymp.

Dann stellte ich mein Radiogerät an. Hauptsächlich, um mich abzulenken. Um nicht nur an die paar vor mir liegenden Meilen zu denken, sondern auch Musik und Sprache zu hören. Deutsch. Das signalisierte Heimat.

Ich schrieb ins Logbuch: Heute wird das große Seestück zu Ende sein. 131 Tage im Angesicht der See. Tag um Tag der leere Horizont und in meinem Reich die absolute Herrschaft. All das soll nun vorbei sein!? Ich kann es nicht fassen.
Vor neun Jahren hatte ich erstmals geträumt, allein um die Welt zu segeln. Sehr vage damals, und jetzt lag das Ende der Reise zum Greifen nah: Helgoland. Von dort weiter in die Elbe bis Hamburg, ein Katzensprung.

Ich hatte einen Traum und habe ihn mir mit dem Segelboot Kathena erfüllt. Mit Betonung auf Boot. Aus Holz. Es lebte. Und leckte. Und es atmete. Und es war warm fürs Auge. Es war nichts Unnützes installiert, geradezu ergreifend schlicht: zwei Segel für den Antrieb, eine Ruderpinne, um Kurs zu halten, Kompass und Sextant, um mein Ziel zu finden. Für den Bauch ein einflammiger Kocher. Zwei Riemen, um bei Flaute in den Hafen zu pullen.

So musste es auch vor Helgoland geschehen. Der Wind verließ mich total. Die beiden Riemen wurden »geriggt«, und ich legte mich mit aller Kraft ins Zeug. Nicht ein Hauch Wind, gute Voraussetzungen fürs Pullen. Doch die Tide zog. Langsam, aber sie zog. Seewärts. Das wollte ich nun partout nicht. Nur noch eine Meile! Eine einzige Meile im Tonnenweg! Zu blöd diese Totenflaute und der idiotische Tidenstrom. Ich verzweifelte, und mir kamen die Tränen. Noch eine Nacht draußen verbringen? Nein, nein, das konnte ich nicht. Ich hielt knapp die Fahrwassertonne, bis irgendwann ein dänischer Fischer mit Ziel Helgoländer Hafen angetuckert kam und mein Malheur richtig deutete. Dann ging das ganz schnell. Ein Crewmann an Bord des Trawlers hielt eine Leine hoch, ich nickte und warf meine gleich zielgenau rüber. Werfen konnte ich, und der Fischer nahm mich in Schlepp.

Abends in der Stille des Hafens hielt ich fest: Habe komplett die Geduld verloren. Könnte den Windgöttern glatt den Hals umdrehen, weil sie mir das Ankommen im Schlepp eingebrockt haben. Schade. 8059 Seemeilen – von Kapstadt nach Helgoland – haben das nicht verdient. Das ist dann wohl gleichzeitig das Ende meiner Weltumseglung. Das Ende meiner 25-Fuß-Welt.

Sensationell. Ich war nun wirklich angekommen. Nur: Der Hafen war leergefegt. Zwei einzelne Gelbjacken huschten über den nahegelegenen Kai. Eine Ratte zeigte sich und verschwand unter einem Gastronomiezelt, aus dem laute Musik drang.

Bevor ich mich dahin verholen wollte, suchte ich der Ordnung halber das Hafenbüro auf. Schon das erste Gespräch war grotesk.

»Ich bin gerade angekommen und möchte einklarieren.«
Der Hafenmeister fragte: »Von wo?«
»Aus Kapstadt.« Schüchtern fügte ich hinzu, »nonstop, allein, 131 Tage habe ich gebraucht.«
»Allein?«
»Ja, allein.«
»Ganz allein?«

Als ich ihm erzählen wollte, was mir alles unterwegs zugestoßen war, unterbrach er mich und bot mir seine belegten Brote an. »Essen Sie erst mal was. Danach zeigen Sie mir Ihr Boot.«

Inzwischen war es dunkel, und ich wollte eigentlich lieber in das Festzelt gehen. Unter Menschen sein, ein Bier trinken oder einen Kaffee, Frauen anschauen, was auch immer, jedenfalls nicht gleich wieder zurück an Bord. Er bestand aber darauf, sich kundig machen zu wollen. Also kletterten wir über die Kaimauer runter zur Kathena. Der Hafenmeister setzte sich auf meine Koje und griff gleich forsch in meine Post. Das gab’s noch nie, dass ein Hafenoffizieller neugierig in der Kajüte herumstöberte. Die Post meiner Reise lag offen in einem Fach an der Maststütze. Briefe, die ich in Panama, Tahiti, Papua-Neuguinea und Kapstadt erhalten hatte. Er schaute sie sich alle einzeln an. Täuschte Interesse für die Briefmarken vor und blätterte, ohne zu fragen, auch in meinem Logbuch. Der Grund für seine Neugierde war: Er glaubte mir nicht.

Aber das ahnte ich zu dem Zeitpunkt nicht. Das wurde mir später zugetragen. Ich hatte einen entscheidenden Fehler begangen, sagte man mir: Ich war unangemeldet um die Welt gesegelt.

Nachher im Zelt weiteten sich die Augen, als ich mich an einen Tisch mit Matrosen gesetzt hatte. »Mit einem Segelboot? Von Kapstadt nach Helgoland?« Vor mir stand plötzlich eine Flasche Bier. »Keine Angst gehabt durch die Biskaya mit einem Boot, das gerade so groß ist wie dieser Tisch lang?« Wir tranken mehr Bier, das sich unaufgefordert vor meinem Platz einfand. Diese Matrosen absolvierten bei der Bundesmarine ihre Wehrpflicht, ich war freiwillig unterwegs. Das war der Unterschied. Gegen Mitternacht nahmen wir Abschied. Oje, irgendwie musste ich bei Niedrigwasser zurück an Bord. Ich hangelte mich die Kaimauer runter, sprang ins Cockpit und legte mich schlafen – in Öljacke und Gummistiefeln – unter einem stockdunklen Himmel. Ich war angekommen.










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Ich greife den Wind
Neu als Taschenbuch
640 Seiten, 150 Fotos, Faksimile und Karten, Klappenbroschur
Delius Klasing Verlag
EUR 19,90
ISBN 978-3-667-11218-7

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