Ich bin auf SeeLeseprobe »Segeln gegen den Alltag«
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Segeln gegen den Alltag

Die Tage vergehen in der Einsamkeit einer großen Stadt. Hetze, Ehrgeiz, Perfektion, ständige Erreichbarkeit, mediale Überflutung, Burnout prägen unser Dasein. Ebenso Menschen, die an ihren Arbeitsstellen sitzen oder stehen, beruflich angespannt sind und die die Last der Aufgaben erdrückt. Wirklich helfen kann nur eine neue Lebensperspektive.

»Viele Menschen versäumen das kleine Glück –
während sie auf das große vergebens warten.«
Pearl S. Buck


Ein Zitat, das mein Herz streichelt. Jeden Tag die kleinen Dinge im Leben wertschätzen. Mit wenig Großes erreichen.

Wie ich auf dieses Thema komme? Ich bin umgeben von relativ jungen Menschen, die unter hohen, nicht fassbaren Ansprüchen leiden, und Etablierten, die sich »festgefahren« haben. Es gibt auch etliche, die sich bei mir übers Internet oder telefonisch dazu äußern. Der Umgang mit neuen Technologien, die hohen Anforderungen im Berufsleben, der Papierkrieg und privater Stress, die zunehmend unser Leben bestimmen, führen sie zu mir. Zum einen, weil sie Segelinteressierte sind und sich mit einem Boot einen Aufbruch zu neuen Ufern gut vorstellen können, zum anderen, weil ich diesbezüglich Erfahrungen in fast allen Richtungen habe. Ich kenne noch das ursprüngliche Segeln. Habe mir mit den Händen auf dem Vordeck das Segeln erarbeitet und verinnerlicht. Kenne aber auch die neue Seite: Rollsegel, GPS, Autopilot etc., die das Seesegeln einfacher machen.

Der Fluch der Eile und die gegenwärtige Überforderung machen viele Menschen krank. Sie leiden. Viele überlegen, mit Segeln diese missliche Lage zu überwinden. Sie haben zwar eine tolle Uhr am Arm, aber keine Zeit. Ich denke, je virtueller die Welt wird, umso mehr wünschen sich die Menschen das Fassbare. Und wirklich, eine Lösung ist, mit einem Boot auf dem Wasser zu sein. Das erlaubt für eine gewisse Zeit, weitgehend ohne Verpflichtungen zu leben. Segeln ist eine faszinierende, vielseitige Beschäftigung. Einen selbst bestimmten Kurs zurücklegen zu können, ist der Traum. Aus der Distanz zu unserem Alltag gewinnen wir Freiheit und Lust und Gesundheit. Kaum irgendwo sonst lässt sich besser »weg sein« als draußen auf See. Die Stille und der Hauch von Verlorensein, wenn man mit einem Boot vor Anker liegt, sind die besten Mittel gegen Spannungen von Kopf bis Fuß. Dazu passt das Ergebnis einer Umfrage in Schweden: Segler fühlen sich nicht nur gesünder, sondern auch glücklicher und zufriedener als Nichtsegler.

Die Menschen, die sich bei mir melden, sind bereits auf Wasser, Boot und Segel fixiert. »Ich würde sooooo gerne segeln, wegsegeln, nur, wie fang ich’s an?« – »Ich liege zurzeit im Krankenhaus. Der Alltag hat mich krank gemacht. Was tun?« – Oder: »Mein altes Leben ist unter mir weggebrochen, ich möchte ein neues beginnen, etwas mit Boot und Meer.« – Oder konkret: »Ich suche ein Ziel, eine Herausforderung. Ein Boot habe ich, auch brauchbar für Kap Hoorn, nur traue ich mich nicht. Können Sie mir helfen?«

All das sind Zitate aus Briefen, die mich erreichen. Hier noch einige Zeilen eines Zahnarztes, der unbedingt aufs Wasser möchte: »Einen ganzen Sommer lang auf Ihren Spuren auf der Ostsee … ganz simpel, ohne Motor und Telefon.« Und weiter: »Ich schmeiße meine Praxis hauptsächlich hin, um den berufsbedingten Papierkram und dieses ganze Trara loszuwerden. Ich bin an einem Punkt, wo ich Einsamkeit brauche, wo ich mich wachrütteln muss, was man Leben nennt, mehr genießen zu können. Ich möchte einfach ohne Fahrplan leben, im Cockpit liegen und in die Wolken schauen.«

Segeln als Rückzug verheißt ein anderes Klima, einen radikalen Bruch mit dem Alltag, einen Stimmungswandel und Freiheit für den Kopf. Freiheit im Nichts. So empfinde ich es. Schon der Gedanke daran führt zu einem Gefühl von Aufatmen. Ich erwarte Bilder von hohen Wolken, freue mich auf Bugwasser und Gischt und viel frische Luft. Segeln bedeutet, etwas zu wagen, selbst wenn es nur entlang einer Küste geht. Hand an der Pinne, Wind in den Haaren, Bug und Heck markieren die Grenzen meines Reichs. Ist man ausgerüstet für viele Tage, bedeutet das Unabhängigkeit und erfüllte Sehnsucht.

Und so verwandelt sich Desasterstimmung, die jeder beklagt, genau in das, was ich als mehr Leben bezeichnen würde. Mehr Segeln. Meer ersegeln. Was man mit einem Boot erwirbt, ist Raum, Leere, weites offenes Wasser. Und Zeit, ohne in Zeitpflicht zu sein. Das ist viel wert und findet sich allemal am ehesten mit einem Segelboot.

Einfach abhauen. Grenzenlose Freiheit winkt. Es ist schön, ein Boot ganz für sich allein zu haben. Niemand sagt dir, was du zu tun hast. Du segelst einfach, wann und wohin du willst. Schon ein Grad Kursänderung kann dich nach einem Segeltag an einen ganz anderen Ort bringen.

Oft scheitert der Traum vom Aufbruch aus dem Alltag an zu hoch gesteckten Zielen. Ostsee mit einer tollen Yacht ist nicht genug, nein, nein, mein Schiff kann mehr. Und so wandert der Finger über die Seekarte: Ein Jahr Karibik und zurück wäre perfekt. Oder gleich um die ganze Welt.

Wenn das ad hoc nicht zu verwirklichen ist, wird das Ziel geschoben: »In drei Jahren, in fünf Jahren will ich, wollen wir über den Ozean und uns unseren Traum erfüllen.« Doch dann kommt etwas dazwischen, gesundheitliche Probleme, die Mittel reichen nicht, die Frau will nicht. Und ganz problematisch: zu viel Respekt vor den Aufgaben.

Misslich ist die Lage, alles Material zusammenzuhaben und den Absprung nicht zu schaffen. Weil die Kraft fehlt. Kraft, die in eine lange Vorbereitung für eine perfekte Reise investiert wurde. Dabei gibt es Alternativen, um zu einer ungewöhnlichen Segler-Auszeit zu kommen: Kleinkreuzer mit Schlupfkajüte, offene Segeljollen oder überhaupt Jollen. Unsere Küsten, Inseln und Seen, beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein oder die Dänische Südsee, bieten gute Möglichkeiten, um »wild« zu segeln und zu leben. Man ist der Natur nah, muss seinen Kopf anstrengen und ist sportlich unterwegs. Muss die Balance halten von Körper und Boot, die Segel trimmen, Manöver fahren. Das ist nicht vergleichbar mit Laufen, Nordic Walking oder dem Stemmen von Gewichten im Fitnessstudio. Und: Das Vorhaben Segeljolle ist im Handumdrehen umsetzbar. Man muss es nur wollen und sich trauen. Gute gebrauchte Boote gibt es hierzulande jeden Tag zu akzeptablen Preisen.

»Wanderjollen sind von vorgestern.« Von solchen Sprüchen lassen wir uns nicht verunsichern. Ich jedenfalls fühlte mich, als ich damit unterwegs war, auf der Höhe der Zeit. Mechanisch gesegelte Boote sind ein Gegenpol in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint und in der das Digitale in jeden Winkel vordringt. Doch wie so oft im Leben ist das Einfache das Echte. Deswegen hat ein kleines Segelboot auch segeltechnisch betrachtet für eine Auszeit nur Vorteile. Man kann das wenige, das man dafür braucht, in ein paar Tagen an Bord tragen und ist klar für eine monatelange Aktivreise. Vermisse ich etwas, kann ich es in der Regel unterwegs besorgen. Mecklenburg ist ja nicht Patagonien. Und wenn die Dänische Südsee vor dem Bug steht, bin ich im Seglerparadies – auch ohne Palmen.

Neben einem guten Gefühl ist der Umgang mit dem Wetter wichtig. Man darf es nicht als Feind betrachten und fürchten, sondern sollte es als einen Anreiz sehen, die Funktionen unseres Körpers zu trainieren und uns damit stärker und erst recht lebendiger zu machen. Allerdings müssen wir uns dann dem Wetter aussetzen, anstatt uns zu verstecken. Ein Grund für zunehmende gesundheitliche Beschwerden ist unsere Entfremdung von der Natur.

Mit einem kleinen Kajütboot über die Ostsee zu segeln bedeutet auch, mal einen Kurs aufzugeben, wenn sich der Wind zum Starkwind entwickelt oder gar unangenehm von vorne kommt. Mir ist das passiert. Ich bin zurückgesegelt, obwohl die Hälfte meiner Etappe im Kielwasser lag. Die Entscheidung, die Segel zu streichen, ist nicht leicht. Aber im Nachhinein weiß ich, dass sie richtig war. Liege ich dann vor Anker oder im Hafen, denke ich: Oh wie schön, wie großartig. Koche mir einen Kaffee und stelle fest: Nix defekt, nix verloren. Es geht mir gut im Windschutz des Sülls. Das sind Dinge, um die es geht. Reis mit Bohnen und gebackene Banane, Tomaten auf Toastbrot. Nicht schlecht für eine einsame Bucht. Und irgendwann fahre ich weiter.

Überhaupt, es geht nicht darum, Strecke zu machen oder schnell zu sein. Reisen in der deutschen Idylle ist: Espresso, lesen, an Land sitzen und sein Schiff bewundern, wenig reden, sich treiben lassen. Ich erlebe bei einem Jollentörn Regen, Wind, Sonne, Sterne, Hitze und Kälte wie nie zuvor. Das Risiko eines kleinen Ostseetörns mit einer Jolle ist begrenzt, sofern man vier Dinge im Auge behält.

Erstens: Ein Vorteil ist Radioempfang, damit man stets über die Wetterlage Bescheid weiß. Heutzutage auch digital oder über eine Wetter-App möglich. Vor jeder Abfahrt sollte man unbedingt das Wetter beobachten und unterwegs auch im Blick behalten. Es gibt immer untrügliche Zeichen der Verschlechterung.

Zweitens: Bloß keinen Kurs erzwingen wollen. Segelflächen rechtzeitig reffen. Eine Jolle will nicht vergewaltigt werden.

Drittens: Vorbereitet sein mit Kurs, Ausweichmöglichkeiten und Seezeichen. Gegebenenfalls sollte man die auf einen Spickzettel notieren, den man bei sich trägt oder ans Schott klebt.

Viertens: Man weiß nie, wie eine Kenterung ausgeht. Die meisten Jollen haben Auftriebskörper montiert. Dennoch: Sicherheitsgurt und Rettungsweste sind ein Muss. Das Handy, wenn gewünscht, sollte man in einer wasserdichten Schutzhülle mitführen. Alle beweglichen Teile von Wert müssen festgelascht werden.

Bonus: Für Schlechtwettertage im Hafen oder in einer Ankerbucht sollte man ein paar Bücher einpacken – die, die man schon immer gern lesen wollte.

Wichtig ist natürlich beim Segeln, Körper, Kopf und Extremitäten zu schützen. Bei dem Angebot an Ölzeug und Funktionswäsche sollte es kein Problem sein, die richtige Kleidung zu finden. – Heute fast nicht vorstellbar, habe ich meine Gelassenheit gegenüber dem Wetter meinen ersten großen Reisen zu verdanken. Auf meinen Ozeanfahrten habe ich Wetterberichte weder über Funk noch Radio erhalten. Ich nahm das Wetter, wie es kam.

Diese Unabhängigkeit ist leicht finanzierbar. Man zahlt dafür nicht mehr als für einen Pkw – einen Golf zum Beispiel. Darin eingerechnet Jolle, Ausrüstung und die gesamten Kosten eines Sommers. Diese Art Aufbruch kann ich nur empfehlen. Er ist schnell umsetzbar, und man wird die Fahrt nie vergessen. Mindestens für einige Wochen, idealerweise einen ganzen Sommer. Davon kann man Jahre zehren. – Hauptsache auf See!





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Ich bin auf See  |  Neu
272 Seiten, 180 Fotos und Faksimile, gebunden im Schuber
Delius Klasing Verlag  |  EUR 45,00
ISBN 978-3-667-11853-0

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