Kathena aktuell
Meldungen von Wilfried Erdmann
   Home | Kathena aktuell | Nonstop | Bücher | Segeltörns | Seemannschaft | Vita | Archiv | Impressum
Vor 40 Jahren  |  6. April 2012 – 6. April 1972


Die skandinavische Acht
272 Seiten, 50 Farbfotos, zahlreiche S/W-Fotos und Karten, gebunden
Delius Klasing Verlag
EUR 12,90
ISBN 978-3-7688-3576-3
Bestellen bei:


In dunkler Nacht am 6. April 1972. Es war der 107. Tag auf See. Wir waren mit dem Stahlboot KATHENA 2 unterwegs von Madagaskar nach England. Es wäre fast unser letzter Tag gewesen. In der Biskaya schlug im Orkan ein Brecher zwei unserer großen Fenster ein. Das Wasser strömte in die Kajüte. Hoch bis zum Kojenrand schwappte es. Nass, kalt und ängstlich kamen wir aus diesem Absturz heraus. Ein unvergessliches Erlebnis unserer gemeinsamen Weltumseglung. Dennoch sind wir beim Segeln geblieben.

Aus diesem Anlass hier zwei Seiten aus meinem Buch „Tausend Tage Robinson“:

6. April – 107. Tag. 12.30 Uhr. Es baut sich ein Orkan auf. KATHENA treffen schwere brechende Seen von achtern, die zeitweise das ganze Cockpit füllen. Wind und Seen steigern sich so schnell, dass ich es für besser halte, die kleine Sturmfock zu bergen. Ich schleife die zwei Quadratmeter Tuch in die Kajüte. Dabei fegt der Wind mich fast von Deck.

14.00 Uhr. Es scheint mir zu riskant, KATHENA in diesem Wellenchaos sich weiter vor Topp und Takel (also ohne Segel) sich selbst zu überlassen. Sie kommt oft quer zu den Wellen. Um dem Schiff halt zu geben, stecke ich als Treibanker eine 60 Meter lange, schwere Trosse aus, geschoren als Bucht, und setze mich an die Pinne. Dick in Ölzeug und Gummistiefel eingepackt, versuche ich jetzt Wind und vor allem die anrollenden Seen zwei bis drei Strich von achtern zu nehmen. Der Sturm nimmt stetig zu. Hält aber die Richtung, Südwest. Das Barometer fällt weiter zwei Millibar die Stunde. Totale Unsichtigkeit wechselt mit heller aufgerissener Bewölkung. Erstaunlich, wie schnell die See hoch und steil geworden ist. Sie bricht jetzt häufiger übers Heck.

18.30 Uhr. Der Wind erreicht jetzt in den Böen volle Orkanstärke. Bekomme Bedenken wegen unserer ziemlich großen Kajütfenster. Hoffentlich werden sie nicht eingeschlagen. Sie sind ein Schwachpunkt. In einer weniger harten Windperiode zurre ich in Luv das zusammengepackte Schlauchboot als Schutz von außen vor die Scheiben. Zum Glück wird es bald dunkel, sodass ich die Wellenriesen, vor allem die Kämme nicht mehr richtig sehen kann. Ich fühle mich nicht unwohl und auch ganz sicher, angeleint im Cockpit steuere ich uns in die Nacht.

Der Orkan hält an. Das Deck wird in immer kürzeren Abständen überflutet. Nichts Neues eigentlich für mich. KATHENA ist eben ein nass segelndes Boot. Obwohl weiterhin kein Fetzen Tuch steht. Ich schiebe die Pinne hin und her. Sie braucht erheblich Ausschlag, bis der Langkieler reagiert. Die Dunkelheit drückt die Wellenhöhe, jedenfalls optisch, dafür hört sich das Getöse der krachenden Kämme umso stärker an. Astrid liegt in der Koje. Luken und alle Lüfter sind längst geschlossen. Sicher ist sie in der dunklen Höhle nervös. Gerne würde ich sie unterhalten und trösten. Aber: Um bei diesem Wetter zu bestehen, kann und darf ich die Pinne nicht verlassen.



22.00 Uhr. Jetzt geht’s richtig los – mit dem Seegang. Ich habe das Gefühl, um mich herum fallen Häuser zusammen. Hochhäuser. Es kracht aus allen Richtungen. Plötzlich höre ich eine mächtige Welle heranrauschen. Da ist sie schon! Unmittelbar schräg von achtern. Ich muss hochschauen, so mächtig steht sie vor der Bordwand. Eine kolossale, brechende See. Als sie uns trifft, werde ich von der Steuerbank hochkatapultiert. Mit der Brust lande ich auf dem Großbaum und halte mich dort an der Großschot fest. Das Heck scheint in den Himmel zu zeigen, und der Mast ist nicht zu sehen, er liegt im Wasser. KATHENA ist voll auf die Seite geschlagen. Liegt plötzlich quer zu den Seen. Mensch das gibt es doch nicht, die halbe rechte Seite liegt unter Wasser. Die See ringsum schaumig und der Wind beängstigend still.

Um meiner Frau zu signalisieren, dass mit mir alles in Ordnung ist, klopfe ich heftig gegen das Niedergangsschott. Da höre ich auch schon Schreie.

Astrid später in einem Brief an ihre Mutter: „Da geschah es. Plötzlich stand ich im Liegen auf der Kajütwand. Ich sah, spürte und hörte nichts in diesem Augenblick. Als das Boot sich wieder aufrichtete, rauschte Wasser in der Kajüte, automatisch kletterte ich vom Vorschiff in die Kajüte. Blankes Entsetzen packte mich. Die kleine Petroleumfunzel war erloschen. Und ich fühlte, dass mir das Wasser bis übers Knie stand. Irgendwas schwamm um meine Beine herum. Und dann sah ich, dass die beiden Steuerbordfenster fehlten. Ich wusste mit den zwei finsteren leeren Löchern in der Dunkelheit nichts anzufangen. Sah und hörte nur Wasser. Das Erste, was ich tat: Ich schrie: Ich ertrinke! Wilfried, ich ertrinke!

Warum kommt er denn nicht, dachte ich. Die Luke ging auf. Gischt sprühte herein. Aber es war ohnehin alles nass. Wilfried kam runtergehangelt. Auf dem Boden angekommen, merkte er, was los war. Er sagte nur ‚Oh, verdammt‘ und tastete sich durchs Dunkel, um eine Taschenlampe zu suchen. Das Chaos, das ich beim Lichtschein sah, ließ mich verzweifeln. Ohnmächtig musste ich ansehen, wie das Wasser über die Kojenkanten schwappte. Hemmungslos begann ich zu weinen.

Ich klammerte mich an Wilfried. Er schob mich beiseite, schnappte sich zwei Segelsäcke und stopfte sie in die Fensteröffnungen. Dann griff er sich eine Pütz und fing an zu schöpfen. Ziemlich beschwerlich, denn durch das halb geöffnete Luk kamen meist nur wenige Liter im Cockpit an. Dabei redete er beschwichtigend auf mich ein. Aber es half nicht. Von Panik ergriffen, von Angst gelähmt, ließ ich mich auf die klitschnasse Koje fallen. Erst als Wilfried die Geduld verlor und mich anherrschte: ‚Denk doch an unser Baby!‘ – erst da fing ich an, die Situation zu begreifen und fischte aus dem knietiefen Wasser, was ich nur immer zu fassen bekam: Bücher, Kleidung, Decken, Seekarten, beide Kameras und viele Negative, Lebensmittel und, und ... Nur mit Socken an den Füßen trat ich im Wasser auf zerbrochenes Geschirr und Glas.

Ich war völlig durcheinander, erlebte alles nur wie in Trance, während Wilfried apathisch Pütz um Pütz durchs Luk kippte. Drei Stunden lang. – Im Schein der Taschenlampe zersägte er anschließend den Holzboden unseres Schlauchbootes, um die Fensterhöhlen mit den Brettern zuzuschrauben. Das musste wohl sein. Aber damit war unser einziges Rettungsmittel vernichtet. Ich weinte. Ich betete. Ich spürte Angst.“

Fortsetzung im Buch, das noch im Handel als Taschenbuch erhältlich ist. Danke.






Home  |  Kathena aktuell  |  Nonstop  |  Segeltörns  |  Bücher  |  Seemannschaft  |  Vita  |  Archiv  |  Impressum
  |  Optimiert für eine Auflösung von 1024 x 768 Pixeln  |  Gestaltung: www.erdmann-design.de