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Meldungen von Wilfried Erdmann
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Vor den Meilen stehen die Kilometer und Tausend Tage Robinson  |  6. April 2005


Tausend Tage Robinson
288 Seiten, 30 Farbfotos,
35 S/W-Fotos und Karten, broschiert
Delius Klasing Verlag
EUR 12,90
ISBN 978-3-7688-2645-7
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Die ersten Narzissen schieben sich durch Erde und Gras. Und der Himmel hält Struktur. Stundenlang. Die Tage werden länger. Wir spüren, es wird auch auf dem Thermometer Frühling.

Ich kann mir gut vorstellen, wie bei diesen zaghaften Wetterzeichen jetzt tausende Bootseigner an der Küste zu ihren Booten eilen, um sie für die Saison klar zu machen. Und diesmal nach einem Winter, der geradezu grässlich war. Viel Regen und schwere Stürme gab’s im Übermaß. Im Rundfunk hörte sich das so an: "Ein schneller Wind ist unterwegs." Oder: "Dicke, dicke Wolken ziehen von links nach rechts."

Zu den ganz ungeduldigen Eignern, die an die Küste zu ihren Booten stürmen, gehören unsere Freunde Marion, Jürgen und Wolfgang. Sie haben allerdings erst mal ein ordentliches Stück Autobahn vor sich. Sie kommen nämlich aus Gütersloh. Seit über zehn Jahren kurven sie jetzt also schon gen Norden – bis nach Maasholm an der Schlei, wo ihr neun Meter langes Boot liegt. Bevor sie es zu Wasser lassen – immer zur Osterzeit – steht spachteln, schleifen, streichen und vor allem polieren des Rumpfes auf der Liste. Diesmal gab’s noch einen Unterwasserschaden am Kiel zu laminieren, den allerdings die Werft in Maasholm ausführte.


Wie sieht die Segelsaison bei solchen "Kilometerseglern" aus: Wohin geht ein kurzer Törn, wohin der lange Schlag? Man sollte meinen, wer 444 Kilometer entfernt wohnt, bewegt sein Boot nicht ausreichend. Bei Jürgen und Marion trifft dies absolut nicht zu. Ganz im Gegenteil. Das Segel-Wochenende beginnt bereits am Freitagnachmittag auf der Autobahn. Diverse Wetterberichte werden abgehört und das Ziel des Wochenendes je nach Windrichtung und -stärke ausbaldowert. So wird die Autofahrt schon mal kurzweiliger. Sonderborg 18 Meilen, Søby 22 sind für die beiden Mitteljungen oft am Freitag noch zu packen. Schaffen sie es aus verkehrstechnischen Gründen nicht bis 16 Uhr an Bord zu sein, wählen sie die naheliegenden Häfen Damp, Kappeln oder Schleimünde. Bewegt wird sich immer. Innerhalb einer Saison stehen im Logbuch unter Wochenendtörns die dänischen Häfen.

In den Sommerferien zieht es diese Beiden in die 6-Wochen-Ferne: Schweden, Norwegen und weiter. 2005 haben sie "nur" Bornholm und die Hanöbucht an der südschwedischen Küste geplant. Nun gibt es nicht nur Gütersloher, die ihr Boot hier liegen haben, ich kenne Dortmunder, Bremer und (ja) Reutlinger. Ich habe den Eindruck, dass die Weitangereisten ihre Schiffe richtig lieben und seglerische Ziele mit mehr Herzblut anfassen und umsetzen. Ihnen allen eine gute Segelsaison, inklusive Autobahnkilometer.


Den 6. April gönnen wir uns. Schon immer. Jahr für Jahr seit 1972. An dem Tag kamen wir nämlich arg in Bedrängnis. Eine stürmische Welle hätte Astrid und mich samt KATHENA 2 beinahe in der Biskaya versenkt. Glücklicherweise traf uns keine Nachfolgende. Das wäre das AUS gewesen. Die eine Welle füllte bereits die Kajüte bis knapp zu den Kojenpolstern. Wir segelten ein schweres Stahlboot mit großen Fenstern, die in diesem orkanartigen Wetter eingedrückt wurden. Und wir segelten einen Langkieler, der bei solchem Wetter schlecht, das heißt zu langsam aufs Ruder reagierte, denn sonst hätte ich es geschafft (ich saß an der Pinne), irgendwie den anrauschende Wellenkamm auszusteuern. Soll heißen: Uns hätte die Sturmsee mehr von achtern getroffen und nicht wie geschehen fast seitlich. Alles wäre nicht so schlimm gewesen ... Seitdem haben ausgesprochene Langkieler keine guten Karten bei mir.


Dieser Tag in "Tausend Tage Robinson":

6. April – 107. Tag: 12.30 Uhr. Es baut sich ein Orkan auf. KATHENA treffen schwere brechende Seen von achtern, die zeitweise das ganze Cockpit füllen. Wind und Seen steigern sich so schnell, dass ich es für besser halte, die kleine Sturmfock zu bergen. Ich schleife die zwei Quadratmeter Tuch anschließend in die Kajüte. Dabei fegt mich der Wind fast von Deck.

14.00 Uhr. Es scheint mir zu riskant, KATHENA weiter sich selbst vor Topp und Takel zu überlassen. Sie kommt oft quer zu den Wellen. Ich stecke als »Treibanker« eine 60 Meter lange, schwere Trosse aus, als Bucht geschoren, und setze mich an die Pinne. Dick in Ölzeug und Gummistiefel eingepackt, versuche ich jetzt Wind und die anrollenden Seen zwei/drei Strich von achtern zu nehmen. Der Sturm nimmt stetig zu. Hält aber die Richtung, Südwest. Das Barometer fällt zwei Millibar die Stunde. Totale Unsichtigkeit wechselt mit heller aufgerissener Bewölkung. Erstaunlich, wie schnell die See hoch und steil geworden ist. Sie bricht jetzt häufiger übers Heck.

18.30 Uhr. Der Wind erreicht jetzt in den Böen volle Orkanstärke. Ich bekomme Bedenken wegen unserer ziemlich großen Fenster. Hoffentlich werden sie nicht eingeschlagen. Sie sind ein Schwachpunkt. In einer weniger harten Windperiode zurre ich das zusammengepackte Schlauchboot als Schutz von außen vor die Scheiben. Da die Seen von achtern leicht backbords einfallen, schütze ich die Backbordfenster – also die Luvseite. Zum Glück wird es bald dunkel, sodass ich die hohen Wellenriesen, vor allem die Kämme nicht mehr richtig sehen kann.

Ich fühle mich nicht unwohl und auch ganz sicher, obwohl ich selbst bei diesem Wetter keine Schwimmweste trage. Aber das Ende einer Schot habe ich mit dem Einsetzen der Dunkelheit um meinen Körper geknotet. Es wurde doch zu rau.

Der Orkan hält an. Das Deck wird in immer kürzeren Abständen überflutet. Nichts Neues eigentlich für mich. KATHENA ist eben ein nass segelndes Boot. Obwohl jetzt kein Fetzen Tuch steht. Ich schiebe die Pinne hin und her. Sie braucht erheblich Ausschlag, bis der Langkieler reagiert. Die Dunkelheit drückt die Wellen etwas, jedenfalls fürs Auge, dafür hört sich das Getöse der krachenden Kämme umso stärker an. Erschrecken tun sie mich nur wenige Male. A. liegt in der Kajüte. Luken und Lüfter sind längst dicht. Sicher ist sie in der dunklen Höhle sehr nervös. Gerne würde ich sie unterhalten und trösten. Aber: Um bei diesem Wetter zu bestehen, kann und darf ich die Pinne nicht verlassen.

22.00 Uhr. Jetzt geht’s richtig los – mit den Wellen, der Wind hat nämlich kurz nachgelassen. Ich habe das Gefühl, um mich herum fallen Häuser zusammen. Hochhäuser. Es kracht aus allen Richtungen. Plötzlich höre ich eine mächtige Welle heranrauschen. Da ist sie schon! Unmittelbar schräg von achtern. Ich muss nach oben gucken, so hoch steht sie vor der Bordwand. Eine kolossale, nicht zu beschreibende brechende See. Als sie uns trifft, werde ich von der Sitzbank an der Pinne hochkatapultiert. Mit der Brust lande ich auf dem Großbaum und halte mich dort an der Großschot krampfhaft fest. Das Heck scheint in den Himmel zu zeigen, und der Mast ist nicht zu sehen, er liegt im Wasser. Die KATHENA ist voll auf die Seite geschlagen. Liegt plötzlich quer zu den Seen. Mensch, das gibt’s doch nicht, die halbe rechte Seite liegt unter Wasser. Nur langsam, für mich viel zu langsam, richtet sie sich wieder auf. Mein Blick gilt nur dem Mast. Ich warte und warte, bis ich sehe und sicher bin, dass der Mast steht. Die See rundum schaumig und irgendwie beängstigend still.

Um Astrid anzuzeigen, dass mit mir alles in Ordnung ist, klopfe ich heftig gegen das Niedergansschott. Da höre ich auch schon ihre Schreie.







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